Antwort

[104] Ich weiß es nicht, Elise, ob wir beide geträumt haben? ich weiß auch nicht, ob ich nicht noch träume? Oder jetzt, und damals vielleicht nicht?

Vergeben Sie mir, wenn es dumpf und öde in mir ist. Es bleibt nicht immer so, aber ich halte diese Stimmung fest, denn eine andere! – –

Haben Sie gelesen, Elise! die stillen, bescheidenen, zärtlichen Worte? Ja wohl, die Erde zieht einen Vorhang zwischen uns. Gott läßt ihn fallen! Was sollte auch der Engel an meiner Seite? Ich hatte keinen Sinn für diese einfache Güte. Erkennen mußte ich sie wohl, doch empfinden – empfinden –! wer empfindet den Andern in seinem geheimnißvollen Selbst?

Die Liebe könnte es! Die Liebe? Ist mir doch, als wäre sie auch ein Traum! –

Ich glaube, es ist von allen Seiten ein Vorhang zwischen mir und dem Himmel gefallen! Es fehlt viel, sehr viel, daß uns die Sonne allgegenwärtig bliebe. Es giebt lange, lange Nächte in unserm Leben. Wir wissen darin nichts von Licht und Wärme, und sind so eingehüllt in[104] Finsterniß, so träge, so schläfrig, daß wir uns auch nicht einmal darnach sehnen.

Lassen Sie mich so, liebe Freundin. Besser nichts von sich zu wissen, als zu viel.

Sehen Sie wohl, ich hatte Ihnen gar nichts Neues zu sagen. Darum schwieg ich auch. Sie müssen wissen, ich bin ganz mit den Worten überhaupt zerfallen, seitdem ich einsah, daß der Mensch ihrer nicht immer Herr ist. Sie strafen mich nun dafür. Ich finde selten eins, das ich gebrauchen könnte, mich verständlich zu machen. Mich dünkt auch, Sie, Elise! sollten ihnen mißtrauen! Auch in Ihnen spricht die Seele anders, als es die Lippen auszudrücken vermögen. Warum, ach warum bleibt Vieles nicht ungesagt! – Auch jetzt! – Es ergänzt das Gefühl lieber, als daß es den scharfen Klang vernimmt!

Vergeben Sie. Mein Inneres ist wund, der Hauch des zartesten Grußes verletzt mich. Wie muß doch Alles anders sein, denn ehemals – nicht wahr, wir verstanden einander immer?

Ich will hinaus ins Freie gehen. Ich will mich besinnen. Vielleicht wird es wieder wie ehemals – – – –


O Elise, was haben Sie gethan! Sie haben[105] gerufen, und ich bin dem Tone gefolgt. Nun bin ich elender als vorher.

Ich war bei Ihnen drüben in Ihrem Hause, in Ihrem Garten, zum erstenmale seit langer, langer Zeit. Sonst, wenn ich das Dorf von fern liegen sah, dann schreckte mich die Oede drinnen. Ich wandte das Auge ab, wie man es einst beim Scheiden von der Welt wenden wird, mit sonderbar entzücktem Grauen. Was war auch hier geschehen! Was hatte ich nicht erfahren! Vom Jüngling alterte ich zum Greis. Hier sah ich mein Glück versinken.

Heute widerstand ich nicht. Es lockte mich, ich weiß nicht was? Ich ging den Pfad, der durch die Wiesen führt; der schmale Graben mit seinem grünen Rande und den tausend Vergißmeinnicht, vom Grase halb verdeckt, die rothen Federnelken, der feuchte Hauch des rinnenden Gewässers, es duftete wie an den kühlen Abenden, wo ich Sie von der Burg zurückgeleitete. Nun stand ich unter der alten, breitgewipfelten Weide, rechts schlängelte sich der Bach, jenseits winkten die Erlen. Da ist der kleine Steg! noch ein Schritt, und ich bin in Ihrem Garten.

Kommen Sie, o kommen Sie nie wieder hierher! Erst Monate sind es, und schon verwildert,[106] verwachsen, mit Gestripp überzogen, kaum die Wege noch kenntlich, wo Ihr Fuß gewandelt!

So schnell ist das Leben im Zerstören, so geschwind verwischen sich Spuren!

Ich war ganz irre geworden. Ich bog die Zweige auseinander, ich wandt mich hindurch. Da lag das Haus. Thüren und Laden geschlossen, hohes Gras auf der Terrasse, keine Ihrer Blumen mehr zu sehen, die Kübel leer. Georgs kleine Gießkanne umgestürzt in einem Winkel unter der Tonne am Giebel. Spaden und Hacke daneben, nichts lebte hier, als die alte Ziege und der Pfau, den man beiden vergönnte, die blumenlosen Beete zu berupfen.

Ausgestorben! ausgestorben! das war das einzige Wort, das mir aus allen Ecken entgegen schallte. Ich setzte mich auf die steinerne Bank vor dem Hause. Ich saß so lange. Es ward spät. Da hustete etwas und schurrte langsam mit stolperndem Schritte heran. Es war der alte Gartenknecht Karl, der so oft das Thor hinter mir schloß, wenn ich Abends spät wegritt. Er erschrack, da er mich sah, so fremd war ich ihm geworden. Das Leben macht die Zeit kurz oder lang. Hier war kein Leben mehr. Ich[107] grüßte ihn. »Wer hat die Schlüssel zum Hause, lieber Mann?« fragte ich. Er entgegnete: »Sie sind auf dem Amte, aber ich schlafe hier unten, und kann durch die Seitenthüre hinein, und so sind alle Zimmer zugängig.« Er merkte wohl, was ich wollte, und ich, daß er mich verstanden. »Wollt Ihr so gut sein, Alter?« sagte ich, »Gern,« erwiederte er. Wir traten in die untern Gewölbe. »Warten Sie,« bat er, »ich muß erst ein Licht anzünden, oben sind die Laden geschlossen, es dunkelt schon, und man sieht da nicht, wo man hintritt.« So gingen wir die Seitentreppen rechts hinauf, jener voran, ich hintendrein. Wie unsere Tritte durch das leere Haus schallten, wie jedes gesprochene Wort so hohl klang! Er öffnete Ihr kleines Gartencabinett, Elise! Das kleine Lichtstümpfchen, das wir hineintrugen, warf nur fahlen Schimmer umher. »Laß Er,« rief ich, und drängte den Mann und das Licht hinaus. »Wie Sie befehlen,« entgegnete er. Ich zog die Thüre hinter mir zu. Ich war allein. Der Duft Ihrer Blumen, Ihre englischen Bücher, die bekannten Gegenstände auf Ihrem Schreibtisch, kurz, der Athem Ihrer Welt, Ihrer lebendigen Nähe, wehte mir entgegen. Ich warf mich auf das kleine Sopha am Ofen.[108] Die Kissen lagen noch so zusammengeschoben, wie Sie solche zur größern Bequemlichkeit gewöhnlich legten.

Was soll ich viel von dem Schmerze reden, der mich ganz, ganz gefangen nahm! Einen Augenblick vergaß ich Alles. Ich wußte nicht ein Wort von der Welt, außer uns. Dann kamen andere Gedanken, andere Vorstellungen. Ich sprang auf. Ich verließ das liebe, kleine Gemach mit einer Angst, als läge die Hölle auf mir. Der gute, alte Mann draußen sah mich halb verwundert, halb befremdet an. Ich mochte geweint haben. Ich weiß es wahrhaftig nicht. Ich gab ihm Geld. Wir schieden. Er sagte mir beim Hinausgehen: »Wenn Sie sonst wollen, das Pförtchen ist niemals verschlossen, auch kommt sonst Niemand hierher.« Ich dankte ihm herzlich.

Nein! Elise, nein! dahin gehe ich nicht wieder. Den ganzen Rückweg über mußte ich mir immer wiederholen: »Alles todt! Alles todt! Und Die auch! Du hast sie beide auf deinem Gewissen!«

So ist es! gewiß, so ist es! Wie ward Ihr Geschick so unheilbar zerstört! Und war ich es nicht, hatte ich denn Ruhe, bis meine unselige[109] Hand den Wahn zerriß, der Ihr Bewußtsein verhüllte? Konnte ich noch zweifeln! Empfand ich es nicht, was Ihre schönen Lippen mir unter belebendem Entzücken endlich bekannten? O es war doch ein seliger, ein unvergeßlicher Augenblick! – Was wundern wir uns, wenn eine Welt untergeht, während eine andere sich Raum schafft. Wie Sie, liebe Freundin! mir jetzt so deutlich aus der Erinnerung heraufsteigen! »Ungroßmüthiger!« sagten Sie im ersten Augenblicke, zürnend. »Sie wußten es lange! Mußte Ihnen erst das Opfer meiner Ruhe die Gewißheit besiegeln?« Sie verließen mich voll Unmuth. Ich war beschämt, Sie hatten recht. Eine Weile stand ich verlegen vor mir selber. Ich ahndete, daß diese Minute viele andere geweiht hatte, die allmählig das Bisherige umgestalten würden. Aber ich war zu glücklich, um bereuen zu können. So roh ist der Mensch und so läppisch! Immer greift er aus dem Traume heraus, und was ihm die innere Offenbarung giebt, das soll das Leben erst wahr machen.

Ja, es macht eine Wahrheit daraus! Aber eine entsetzliche, vor der man den Verstand verlieren kann!

Nein, es taugt mir nicht, wenn ich die[110] Burg verlasse. Ich kann die Luft außerhalb nicht mehr ertragen. Darum bleibe ich. Erst wollte ich gleich fort. Wohin? wußte ich freilich nicht. Aber der Kranke sucht die Stelle, wo er besser, stiller zu liegen glaubt. Es kam anders! Eine Kleinigkeit, vielleicht ein Zufall, gewiß ein Zufall, genug ich blieb. Der gute Oheim braucht mich doch wohl noch. So lange er lebt, baut er seine alten Pläne von Begründung und Forterben des Begründeten weiter in die Zukunft hinein. Nun, ich werde ihm bauen helfen, das neue Schloß in Wehrheim darf so nicht liegen bleiben. Ich werde Sorge tragen, daß die Arbeit vorwärts geht. Was dann daraus wird? Mir einerlei! An mich denke ich nicht, das sehen Sie wohl, da ich bleibe und baue.

Was treiben Sie denn, Liebe? Wie betrügen Sie die Zeit um ihren trägen Lauf? Sind Sie noch bei der Dame, von der Sie einmal sagten: »Sie trüge wie eine Ameise immer ein Stückchen Dasein zum andern, und hätte so einen Vorrath von Brocken. Zum Genießen aber bliebe ihr keine Muße.«

Sie sehen, ich habe ein gutes Gedächtniß, und wiederhole mir gern, was ich von Ihnen hörte.[111]

Seit ich in Ihrem Cabinett saß, kommen mir soviel der frühern Gedanken und Worte. Aber hier in der Burg schallt es, und es ist zwölf Uhr Mittags; die Glocken läuten eine volle Stunde. In der Capelle liest der Prior Emma's Todtenmesse! –

Ich versichere Sie, unter solchen Klängen kann sich ein Herz tropfenweis verbluten!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 104-112.
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