Blum

[134] Vor zweiundvierzig Jahren war's, da hat mit Macht geschrien

Ein siebentägig Kölner Kind auf seiner Mutter Knien;

Ein Kind mit breiter, offner Stirn, ein Kind von heller Lunge,

Ein prächtig Proletarierkind, ein derber Küferjunge.

Er schrie, daß in der Werkstatt rings des Vaters Tonnen hallten;

Die Mutter hat mit Lächeln ihn an ihre Brust gehalten;

An ihrer Brust, auf ihrem Arm hat sie ihn eingesungen: –

Es ist zu Köln das Wiegenlied des Knaben hell erklungen.


Und heut in diesem selben Köln zum Wehn des Winterwindes

Und zu der Orgel Brausen schallt das Grablied dieses Kindes.

Nicht singt die Überlebende, die Mutter es dem Sohne:

Das ganze schmerzbewegte Köln singt es mit festem Tone.[134]

Es spricht: Du, deren Schoß ihn trug, bleib still auf deiner Kammer!

Vor deinem Gott, du graues Haupt, ausströme deinen Jammer!

Auch ich bin seine Mutter, Weib! Ich und noch eine Hohe –

Ich und die Revolution, die grimme, lichterlohe!

Bleib du daheim mit deinem Schmerz! Wir wahren seine Ehre –

Des Robert Requiem singt Köln, das revolutionäre!


So redet Köln! Und Orgelsturm entquillt dem Kirchenchore,

Es stehn die Säulen des Altars umhüllt mit Trauerflore,

Die Kerzen werfen matten Schein, die Weihrauchwolken ziehen,

Und tausend Augen werden naß bei Neukomms Melodien.

So ehrt die treue Vaterstadt des Tonnenbinders Knaben –

Ihn, den die Schergen der Gewalt zu Wien gemordert haben,

Ihn, der sich seinen Lebensweg, den steilen und den rauhen,

Auf bis zu Frankfurts Parlament mit starker Hand gehauen!

(Dort auch, was er allstündlich war, ein Wackrer, kein Verräter!) –

Was greift ihr zu den Schwertern nicht, ihr Singer und ihr Beter?

Was werdet ihr Posaunen nicht, ihr ehrnen Orgeltuben,

Den Jüngsten Tag ins Ohr zu schrein den Henkern und den Buben?

Den Henkern, die ihn hingestreckt auf der Brigittenaue –

Auf festen Knien lag er da im ersten Morgentaue!

Dann sank er hin – hin in sein Blut – lautlos! – heut vor acht Tagen!

Zwei Kugeln haben ihm die Brust, eine das Haupt zerschlagen!


Ja, ruhig hat man ihn gemacht: – er liegt in seiner Truhe!

So schall' ihm denn ein Requiem, ein Lied der ew'gen Ruhe!

Ruh' ihm, der uns die Unruh' hat als Erbteil hinterlassen: –

Mir, als heut im Tempel stand in den bewegten Massen,

Mir war's, als hört' ich durch den Sturm der Töne ein Geraune:

Du, rechte mit der Stunde nicht! die Orgel wird Posaune!

Es werden, die du singen siehst, das Schwert in Händen tragen –

Denn nichts als Kampf und wieder Kampf entringt sich diesen Tagen!

Ein Requiem ist Rache nicht, ein Requiem nicht Sühne –

Bald aber steht die Rächerin auf schwarzbehangner Bühne!

Die dunkelrote Rächerin! Mit Blut bespritzt und Zähren,

Wird sie und soll und muß sie sich in Permanenz erklären![135]

Dann wird ein ander Requiem den toten Opfern klingen –

Du rufst sie nicht, die Rächerin, doch wird die Zeit sie bringen!

Der andern Greuel rufen sie! So wird es sich vollenden –

Weh allen, denen schuldlos Blut klebt an den Henkerhänden!


Vor zweiundvierzig Jahren war's, da hat mit Macht geschrien

Ein siebentägig Kölner Kind auf seiner Mutter Knien!

Acht Tage sind's, da lag zu Wien in blut'ger Mann im Sande –

Heute scholl ihm Neukomms Requiem zu Köln am Rheinesstrande.


Köln, 16. November 1848.
[136]

Quelle:
Ferdinand Freiligrath: Werke in sechs Teilen. Band 2, Berlin u.a. [1909], S. 134-137.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden

Warum Gott Mensch geworden

Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.

86 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon