Am Birkenbaum

[145] 1829.-50.


1.

Der junge Jäger am Waldrand saß,

Am Waldrand auf der Haar.

Wie Blut schon die Blätter, gebleicht das Gras,

Doch der Himmel sonnig und klar.

Er sprach: die Bracken ziehn sich zur Möhne!

Vergebens mich auf den Fuchs gefreut!

Fern, immer ferner des Hornes Töne –

Kein Schuß mehr fällt aus dem Brandholz heut!


Ob ich nach nur schlendre? Den Teufel auch!

Ich lob' mir im Sonnenschein

Das Eckchen hier am Wachholderstrauch

Und den grauen, moosigen Stein!

Drauf streck' ich mich aus, den nehm' ich zum Polster,

An die Buche lehn' ich mein Doppelgewehr!

Und nun aus dem Dichterwinkel der Holster,

Mein Jagdgenosse, mein Byron, komm her! –


Und er nimmt seinen Weidsack und langt sie herfür,

Die ihn öfters begleitete schon,

Die höchst unwürd'ge auf Löschpapier,

Der Zwickauer Edition.

Den »Mazeppa« hat er sich aufgeschlagen:

Muß sehn, ob ich's deutsch nur reimen kann!

Mögen immer die andern lachen und sagen:

Ha ha, der lateinische Jägersmann!


Er liest – er sinnt – nun schreibt er sich's auf;

Nun scheint er so recht im Fluß –

Da nimmt er vor Freuden den Doppellauf

Und tut in die Luft einen Schuß.

So hat er es lange Stunden getrieben,

Ein närrischer kauz, ein Stück Poet,

Bis ihm mit Bleistift flott geschrieben,

Ein saubrer Anfang im Taschenbuch steht.


Er reibt sich die Hände: – Und nun nach Haus!

Zwei Stunden noch hab' ich zu gehn;

Nur ein einzig Mal noch hinab und hinaus

In die Ebene will ich spähn;[145]

Will mir Schimmer und Duft in die Seele saugen,

Daß sie Freude noch und zu zehren hat,

Wenn mir wieder die fernedurstigen Augen

Auf Wochen einengt die graue Stadt.


Da liegt sie finster mit Türmen und Wall,

Die mich lehren soll den Erwerb,

Dem ich grämlich sperrt in der Prosa Stall,

Und Dichten heißt Zeitverderb!

Wenn ich manchmal nicht auf den Rappen müßte,

Hätt' ichmanchmal nicht einen Jagdtag frei,

Einen Tag, wie heut – Schwerenot, ich wüßte

Keinen Rat meiner heimlichen Reimerei!


Da liegt sie – herbstlicher Duft ihr Kleid –

In der Abendsonne Brand!

Und hinter ihr, endlos, meilenweit,

Das leuchtende Münsterland!

Ein Blitz, wie Silber – das ist die Lippe!

Links hier des Hellwegs goldene Au!

Und dort zur Rechten, überm Gestrüppe,

Das ist meines Osnings dämmerndes Blau!


Ein Fläche das! So, denk ich mir, war

Die Flur, die Mazeppa durchsprengt!

Oder jene, drauf der russische Zar

Den schwedischen Karl gedrängt!

Zwar – milder und üppiger ist die Börde,

Doch wir haben Heidegrund und Moor

Und wildem Busch auf der roten Erde –

Ob auch hier schon wer eine Schlacht verlor?


– So denkt er und hat es laut wohl gesagt;

Da tritt ein Mann auf ihn zu:

Ein Bauer – und wenn ihr mehr noch fragt:

Der Hüter einer Kuh.

Die langen Glieder umhüllt ein schlichter

Leinrock, das bläuliche Auge sticht,

Die Lippe zuckt – so tritt er zum Dichter,

So lächelt er seltsamlich und spricht:


2.

Guten Abend, Herr! Ob man Schlachten schlug

In der Ebene dort – fürwahr,

Ich hab's nicht erfahren! Lest nach im Buch!

Mich kümmert wenig, was wars![146]

Ich schaue nur aus nach den künftigen Tagen –

So spricht vom Haarstrang der alte Hirt:

Eine Schlacht wohl sah ich dort unten schlagen,

Doch eine, die man erst schlagen wird!


Ich habe sie dreimal mit angesehn!

O, öd ist die Haar bei Nacht!

Ich aber muß auf vom Bette stehn –

Dann hat es mich hergebracht!

Just, Herr, wo ihr steht – just hier auf den Felsen,

Da hat es mich Sträubenden hingestellt!

Und hätt' ich gewand mich mit hundert Hälsen,

Doch hätt' ich hinabschaun müssen ins Feld!


Und ich sah hinab und ich sah genau –

Da schwammen die Äcker in Blut,

Da hing's an den Ähren, wie roter Tau,

Und der Himmel war eine Glut!

Um die Höfe sah ich die Flamme wehen,

Und die Dörfer brannten wie dürres Gras:

Es war als hätt' ich die Welt gesehen

Durch Höhrauch oder durch farbig Glas!


Und zwei Heere, zahllos wie Blätter im Busch,

Hieben wild auf einander ein;

Das eine, mit hellem Trompetentusch,

Zog heran in der Richtung vom Rhein.

Das waren die Völker des Westens, die Freien!

Bis zum Haarweg scholl ihrer Pferde Gewiehr,

Und voraus flog ihren unendlichen Reihen

Im Rauche des Pulvers ein rot Panier!


Rot, Rot, Rot! das einige Rot!

Kein prunkendes Wappen drauf!

Das trieb sie hinein in den jachzenden Tod,

Das band sie, das hielt sie zuhauf!

Das warf sie entgegen den Sklaven aus Osten,

Die, das Banner bestickt mit wildem Getier,

UNabsehbar über die Fläche tosten

Auf das dröhnende, zitternde Kampfrevier.


Und ich wußte – doch hat es mir keiner gesagt! –

Das ist die letzte Schlacht,

Die der Osten gegen den Westen wagt

Um den Sieg und um die Macht![147]

Das ist der Knechtschaft letztes Verenden!

Das ist, wie nie noch ein Wprfel fiel,

Aus der Könige kalten, bebenden Händen

Der letzte Wurf in dem alten Spiel!


Denn dies ist die Schlacht um den Birkenbaum! –

Und ich sah seinen weißen Stamm,

Und er stand und regte die Blätter kaum,

Denn sie waren schwer und klamm!

Waren klamm vom Blut, das der blutige Reigen

An die zitternden wild in die Höhe gespritzt;

Und so stand er mit traurig hangenden Zweigen,

Von Kartätschen und springenden Bomben umblitzt.


Auf einmal hub er zu säuseln an,

Und ein Licht flog über die Haar –

Und den Osten sah ich geworfen dann

Von des Westens drängender Schar.

Die Zäume verhängt und die Fahnen zertreten

Und die Führer zermalmt von der Hufe Wucht

Und im Nacken der Freiheit Gerichtstrompeten –

So von dannen jagte die rasende Flucht.


Da! zu uns auch herauf! – da – seht ihr sie nicht?

Durch den Hphlweg und über den Stein!

Da! – zum viertenmal nun das gleiche Gesicht

Und der gleiche lodernde Schein! –

Da! – tretet beiseit', daß kein fliegender Zügel,

Daß kein sausender Dolman den Arm euch streift!

Noch des Mannes Haupt, den, hangend im Bügel,

Eben jetzt sein Pferd durch den Ginster schleift!


Da! – es stürzt! – das edelste dieser Schlacht –

Der Geschleifte liegt tot im Farn!

Und über ihn weg nun die wilde Jagd,

Die Lafetten, die Pulverkarrn! –

Wer denkt noch an den? Wer unter den Wagen

Risse den noch hervor? Was Bahre, was Sarg!

Hört, Herr – doch dürft ihr es keinem sagen! –

So stirbt in Europa der letzte Monarch!


3.

Dem jungen Jäger schwirrt' es im Kopf,

Und er tat einen langen Satz,

Und er fluchte: Vermaledeiter Tropf

Und vermaledeiter Platz![148]

Doch der Alte, kühl wie ein Seher eben,

Sah ihm ruhig nach von des Holzes Saum:

Ja, flucht nur, Herr Junge! Könnt's doch noch erleben!

Seid ja siebenzehn oder achtzehn kaum!


Dann pfiff er und zog übers Stoppelfeld –

Noch hat sich das Wort nicht erfüllt!

Doch der Birkenbaum steht ungefällt,

Und zwei Lager zerklüften die Welt,

Und ein Hüben und Drüben gilt!

Schon gab es Geplänkel: doch dauernd schlichten

Wird ein Schlag nur, wie jener, den wachsenden Strauß –

Und dem Jäger komen die alten Geschichten,

Und er denkt: Schlüge dennoch das Volk in Gesichten

Seines nahenden Welttags Siege voraus?

Quelle:
Ferdinand Freiligrath: Werke in sechs Teilen. Band 2, Berlin u.a. [1909], S. 145-149.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon