Erste Szene

[94] Gartensaal im Hause des Obersten.

Oberst, vom Garten eintretend, hinter ihm Karl.


OBERST am Eingang, unwirsch. Wer hat dem Wilhelm befohlen, das Pferd vor den Schlafzimmern umherzuführen? Der Schlingel macht mit den Eisen einen Lärm, der Tote aufwecken könnte.

KARL. Werden der Herr Oberst heut nicht ausreiten?

OBERST. Nein! in den Stall mit dem Pferde!

KARL. Zu Befehl, Herr Oberst.


Ab.


OBERST klingelt, Karl wieder an der Tür. Ist das Fräulein zu sprechen?

KARL. Sie ist in ihrem Zimmer, der Herr Justizrat ist bereits seit einer Stunde bei ihr.

OBERST. Wie? am frühen Morgen?

KARL. Hier ist sie selbst. Ab, nachdem Adelheid eingetreten. Adelheid, Korb aus der Tür rechts.

ADELHEID zu Korb. Sie bleiben wohl in der Nähe der Gartentür, und wenn der bewußte junge Herr kommt, dann führen Sie ihn zu uns. Korb ab. Guten Morgen, Herr Oberst! An ihn tretend und ihn heiter ansehend. Wie ist das Wetter heut?

OBERST. Grau, Mädchen, grau und stürmisch! Ärger und Gram sausen in meinem Kopfe herum, daß er mir zerspringen möchte. Wie geht es der Kleinen?

ADELHEID. Besser. Sie ist so gescheit gewesen, gegen Morgen einzuschlafen. Jetzt ist sie traurig, aber gefaßt.

OBERST. Gerade diese Fassung ist mir ärgerlich. Wenn sie nur einmal schreien wollte und sich etwas in die Haare[94] fahren, es wäre schrecklich, aber es wäre doch Natur darin. Aber dies Lächeln und sich Abwenden und dies Abtrocknen heimlicher Tränen, das nimmt mir meine Fassung. Das ist bei meinem Kinde unnatürlich.

ADELHEID. Vielleicht kennt sie das gütige Herz ihres Vaters besser als er selbst, vielleicht hofft sie noch!

OBERST. Worauf? Auf eine Versöhnung mit ihm? Nach dem, was geschehen, ist eine Versöhnung zwischen Oldendorf und mir unmöglich.

ADELHEID beiseite. Ob er wünscht, daß ich ihm widerspreche?


Korb.


KORB zu Adelheid. Der Herr ist gekommen.

ADELHEID. Ich werde klingeln. – Korb ab. Helfen Sie mir in einer kleinen Verlegenheit, ich habe einen fremden jungen Mann zu sprechen, der hilfsbedürftig scheint, und möchte gern, daß Sie in der Nähe blieben – darf ich die Tür hier offen lassen? Weist auf die Tür links.

OBERST. Das heißt wohl auf deutsch, ich soll dort hineingehen?

ADELHEID. Ich bitte, nur auf fünf Minuten.

OBERST. Meinetwegen, wenn ich nur nicht horchen soll.

ADELHEID. Das verlange ich nicht, aber zuhören werden Sie doch, wenn das Gespräch Sie interessieren sollte.

OBERST lächelnd. Dann werde ich hereinkommen. Ab nach links.


Adelheid klingelt.

Schmock; Korb am Eingange, sogleich wieder ab.


SCHMOCK sich verbeugend. Ich wünsche einen guten Morgen. – Sind Sie das Fräulein, welches ihren Schreiber zu mir geschickt hat?

ADELHEID. Ja. Sie haben den Wunsch geäußert, mich selbst zu sprechen.[95]

SCHMOCK. Wozu soll der Schreiber wissen, wenn ich Ihnen etwas zu sagen habe? – Hier sind die Zettel, die der Senden geschrieben hat, welche ich gefunden habe im Papierkorbe des Coriolan. Sehen Sie nach, ob sie für den Obersten zu brauchen sind. Was soll ich damit anfangen? Es ist nichts damit zu machen.

ADELHEID hineinsehend, beiseite lesend. Hier sende ich Ihnen die unglückliche stilistische Arbeit usw. – Unvorsichtig und sehr gewöhnlich! Legt sie auf den Tisch. Laut. In jedem Fall sind diese unbedeutenden Billette in meinem Papierkorbe besser verwahrt als in einem andern. – Und was veranlaßt Sie, mein Herr, mir Ihr Vertrauen zu schenken?

SCHMOCK. Der Bellmaus hat mir doch gesagt, daß Sie eine geschickte Person sind, die dem Obersten auf gute Weise sagen wird, er soll sich vor dem Senden und vor meinem Redakteur in acht nehmen. Und der Oberst ist ein humaner Mann, er hat mir neulich vorgesetzt ein Glas süßen Wein und Semmel mit Lachs zum Frühstück.

OBERST an der Tür sichtbar, mitleidig die Hände faltend. Du lieber Gott!

SCHMOCK. Warum soll ich ihn hintergehen lassen von diesen Menschen?

ADELHEID. Wenn Ihnen das Frühstück nicht unangenehm war, so wollen wir für ein zweites sorgen.

SCHMOCK. O ich bitte, bemühen Sie sich meinetwegen nicht.

ADELHEID. Können wir Ihnen sonst mit etwas helfen?

SCHMOCK. Womit sollen Sie mir helfen? Seine Stiefeln und Kleider betrachtend. Ich habe jetzt alles imstande. Mein Unglück ist nur, ich stecke in einem schlechten Geschäft. Ich muß sehen, daß ich aus der Literatur herauskomme.

ADELHEID mitleidig. Es ist wohl recht schwer, sich in der Literatur wohl zu fühlen?

SCHMOCK. Je nachdem. – Mein Redakteur ist ein ungerechter Mensch. Er streicht zuviel und bezahlt zu wenig.[96] Achten Sie vor allem auf Ihren Stil, sagt er, guter Stil ist die Hauptsache. Schreiben Sie gewichtig, Schmock, sagt er, schreiben Sie tief, man verlangt das heutzutage von einer Zeitung, daß sie tief ist. Gut, ich schreibe tief, ich mache meinen Stil logisch. Wenn ich ihm aber die Arbeit bringe, so wirft er sie von sich und schreit: Was ist das? Das ist schwerfällig, das ist pedantisch, sagt er. Sie müssen schreiben genial, brillant müssen Sie sein, Schmock, es ist jetzt Mode, daß alles angenehm sein soll für die Leser. – Was soll ich tun? Ich schreibe wieder genial, ich setze viel Brillantes hinein in den Artikel; und wenn ich ihn so bringe, nimmt er den Rotstift und streicht alles Gewöhnliche und läßt mir nur die Brillanten stehen.

OBERST. Ist so etwas möglich?

SCHMOCK. Wie kann ich bestehen bei solcher Behandlung? Wie kann ich ihm schreiben lauter Brillantes die Zeile für fünf Pfennige? Dabei kann ich nicht bestehen. Und deshalb will ich sehen, daß ich aus dem Geschäft herauskomme. Wenn ich nur könnte verdienen 25–30 Taler, ich wollte in meinem Leben nicht wieder schreiben für eine Zeitung, ich wollte dann mein eigenes Geschäft anfangen, ein kleines Geschäft, das mich ernähren könnte.

ADELHEID. Warten Sie einen Augenblick!


Sucht in ihrer Börse.


OBERST eilig hervorkommend. Überlassen Sie das mir, liebe Adelheid. Der junge Mann will aufhören, Journalist zu sein, das geht mich an! Hier, hier ist Geld, wie Sie sich wünschen, wenn Sie mir versprechen, von heute ab keine Feder mehr für eine Zeitschrift anzurühren. Hier, nehmen Sie!

SCHMOCK. Ein preußisches Kassenbillett von 25 Talern Kurant? Auf meine Ehre, ich versprech's Ihnen, Herr Oberst, auf meine Ehre und Seligkeit, ich gehe noch heut zu einem Vetter von mir, welcher ein solides Geschäft hat. Will der Herr Oberst einen Schuldschein, oder soll ich ausstellen einen Wechsel auf mich selber mit langer Frist?

OBERST. Bleiben Sie mir vom Leibe mit Ihrem Wechsel![97]

SCHMOCK. So will ich einen richtigen Schuldschein ausstellen. Es ist mir lieber, daß es nur ein Schuldschein ist.

OBERST ungeduldig. Auch Ihren Schuldschein will ich nicht. – Herr, gehen Sie in Gottes Namen!

SCHMOCK. Und wie wird's sein mit den Interessen? Kann ich's haben gegen fünf Prozent, so wäre mir's lieb.

ADELHEID. Der Herr schenkt Ihnen das Geld.

SCHMOCK. Er schenkt mir das Geld? Es ist ein Wunder! – Wissen Sie was, Herr Oberst, wenn ich nichts mache mit dem Geld, so bleibt es geschenkt; wenn ich mir damit aufhelfe, so bring ich's Ihnen zurück. Ich hoffe, ich werde mir aufhelfen.

OBERST. Halten Sie das ganz nach Ihrem Belieben.

SCHMOCK. Es ist mir ganz lieb so, Herr Oberst. Unterdes danke ich Ihnen, und mög' es Ihnen vergolten werden durch eine andere Freude, die Sie haben. Ich empfehle mich Ihnen, meine Herrschaften.

ADELHEID. Das Frühstück wollen wir nicht vergessen. Kingelt. Korb tritt ein. Lieber Korb! Spricht leise mit ihm.

SCHMOCK. Bitte sehr, lassen Sie doch das!


Schmock und Korb ab.


OBERST. Und jetzt, mein Fräulein, erklären Sie mir diese ganze Unterredung; sie geht mich nahe genug an.

ADELHEID. Senden hat sich gegen andere taktlos über seine Stellung zu Ihnen und Ihrem Hause ausgesprochen. Dieser junge Mann hatte etwas davon gehört und Billette von Senden in Besitz, in welchen einige unpassende Ausdrücke vorkommen. Ich hielt es für gut, diese Billette aus seinen Händen herauszuziehen.

OBERST. Ich ersuche Sie um diese Briefe, Adelheid.

ADELHEID bittend. Wozu, Herr Oberst?

OBERST. Ich werde mich nicht ärgern, Mädchen.

ADELHEID. Das verlohnt sich auch nicht. Und doch bitte ich Sie, nicht hineinzusehen. – Sie wissen jetzt genug, denn Sie wissen, daß er mit seiner Umgebung ein so großes Vertrauen,[98] als Sie ihm in der letzten Zeit gegönnt haben, nicht zu würdigen weiß.

OBERST traurig. O pfui, pfui! – Ich habe in meinen alten Tagen Unglück mit meinen Bekanntschaften.

ADELHEID. Wenn Sie Oldendorf mit diesem hier – Auf die Briefe weisend. in eine Klasse setzen, so haben Sie unrecht.

OBERST. Das tue ich nicht, Mädchen. Den Senden habe ich nicht so liebgehabt, und deshalb trage ich's leichter, daß er mich verletzt.

ADELHEID mild. Und weil Sie den andern geliebt haben, deshalb waren Sie gestern so –

OBERST. Sprechen Sie's nur aus, Sittenprediger – so hart und ungestüm.

ADELHEID. Mehr als das, Sie waren ungerecht.

OBERST. Ich habe mir in dieser Nacht dasselbe gesagt, wenn ich an Idas Zimmer trat und das arme Ding weinen hörte. Ich war ein gekränkter, zorniger Mann und hatte unrecht in der Form, in der Sache selbst hatte ich doch recht. Mag er Deputierter sein, er paßt dazu vielleicht besser als ich; daß er ein Zeitungsschreiber ist, das trennt uns.

ADELHEID. Er tut doch nur, was Sie auch taten.

OBERST. Erinnern Sie mich nicht an diese Torheit! – Wenn er als mein Schwiegersohn den Lauf der Welt anders beurteilte als ich, so könnte ich's wohl ertragen. Wenn er aber alle Tage Gefühle und Gesinnungen, die den meinen so entgegenstehen, laut in die Welt ruft und ich das lesen müßte und überall hören müßte, wie mein Schwiegersohn von meinen Freunden und alten Kameraden deshalb verspottet und gescholten wird, und das alles hinunterschlucken müßte, sehen Sie, das kann ich nicht!

ADELHEID. Und Ida? Weil Sie das nicht ertragen wollen, deshalb wird Ida unglücklich.

OBERST. Mein armes Kind! Sie ist jetzt unglücklich gewesen, die ganze Zeit hindurch. Das halbe Wesen zwischen uns Männern hat schon lange nichts getaugt. Es ist besser, daß es mit einem großen Schmerz ein Ende nimmt.[99]

ADELHEID ernst. Noch sehe ich das Ende nicht. Ich werde es erst sehen, wenn Ida wieder so fröhlich lacht, als sie sonst tat.

OBERST aufgeregt umhergehend, ausbrechend. So werde ich ihm mein Kind übergeben und mich allein in einen Winkel setzen. – Ich dachte meine letzten Tage anders, aber verhüte Gott, daß mein geliebtes Mädchen durch mich unglücklich werden sollte. Er ist zuverlässig und ehrenhaft, er wird sie gut halten. – Ich werde wieder in die kleine Stadt ziehen, aus der ich hergekommen bin.

ADELHEID seine Hand ergreifend. Mein würdiger Freund, nein, das sollen Sie nicht. Weder Oldendorf noch Ida würden ihr Glück einem solchen Opfer verdanken wollen. – Wenn nun Senden und seine Freunde dem Professor die Zeitung unter den Händen fortziehen, wie dann?

OBERST freudig. Dann wäre er kein Journalist mehr! – Unruhig. Ich will nichts von dem Plane hören, das hinterlistige Handeln gefällt mir nicht.

ADELHEID. Mir auch nicht. – Herzlich. Herr Oberst, Sie haben mir oft ein Vertrauen geschenkt, das mich glücklich und stolz gemacht hat. Sie haben mir auch heute gestattet, rücksichtsloser zu sprechen, als einem Mädchen sonst wohl erlaubt wird. Wollen Sie mir noch einen recht großen Beweis Ihrer Achtung geben?

OBERST ihr die Hand drückend. Adelheid, wir wissen, wie wir miteinander stehen. Sprechen Sie.

ADELHEID. Sein Sie heut auf eine Stunde mein getreuer Ritter. Erlauben Sie mir, daß ich Sie mit mir führe, wohin es auch sei.

OBERST. Was haben Sie vor, Kind?

ADELHEID. Nichts Unrechtes, nichts, was Ihrer und meiner unwürdig wäre. Es soll Ihnen nicht lange Geheimnis bleiben.

OBERST. Wenn es sein muß, ich gebe mich gefangen. Aber darf ich nicht ungefähr wissen, was ich zu tun habe?

ADELHEID. Sie sollen mich bei einem Besuch begleiten[100] und sich dabei an das erinnern, was wir jetzt so verständig miteinander gesprochen haben.

OBERST. Bei einem Besuch?


Korb.


ADELHEID. Bei einem Besuch, den ich in meinem eigenen Interesse mache.

KORB zu Adelheid. Herr v. Senden wünscht Ihnen seine Aufwartung zu machen.

OBERST. Ich will ihn jetzt nicht sehen.

ADELHEID. Ruhe, Colonel, wir haben nicht Zeit, auch mit dem zu zürnen. Ich werde ihn auf einige Augenblicke annehmen müssen.

OBERST. Dann gehe ich fort.

ADELHEID bittend. Um mich sogleich zu begleiten? Der Wagen wartet.

OBERST. Ich gehorche dem Kommando.


Ab nach links.


ADELHEID. Ich habe einen schnellen Entschluß gefaßt, ich habe etwas gewagt, was für ein Mädchen wohl zu keck war, denn ich fühle jetzt, wo die Entscheidung naht, daß mein Mut mich verläßt. – Ich mußte es tun um seinetwillen und für uns alle. – Zu Korb. Bitten Sie Fräulein Ida, sich bereitzuhalten. Der Kutscher soll sogleich umkehren, sie abzuholen. – Lieber Korb, denken Sie an mich. Ich gehe einen wichtigen Gang, mein alter Freund. – Adelheid ab.

KORB allein. Tausend! glänzen der die Augen! Was hat sie vor? Sie will doch nicht gar den alten Oberst entführen? Was sie auch vorhat, sie setzt's durch. Es gibt nur einen, der mit ihr fertig werden könnte. O Herr Conrad, wenn ich reden dürfte! Ab.[101]


Quelle:
Gustav Freytag: Die Journalisten. Stuttgart 1977, S. 94-102.
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