11.

[200] Fortunatus mit seinem Seckel und Wünschhütlein, wie er dasselbe bekommen, und ihm darmit ergangen. Nürnberg und Cöln.


Schnell und wie der Gedanke flüchtig durch die Welt zu eilen, und einen nimmer leeren Geldseckel gu besitzen, sind zwei kindische Wünsche, die jeden wohl einmal schon beschlichen haben: in den Siebenmeilenstiefeln hat der Erste schon in früheren Zeiten gar bescheiden sich ausgesprochen; die Nürnberger Buden geigen den andern im Ducatenmännchen ausgeschnitzt; das Huhn mit den goldnen Eyern ist eine zweite Variation des reichen Themas, und die ganze Weltgeschichte ist eigentlich ein Argonautenzug nach diesem goldnen Vließ. Das ist denn auch dieses Romanes Gegenstand, man hat ihn den Engelländern ursprünglich zugeschrieben; und man muß gestehen, daß das Werk ihrem ganzen Wesen, Thun und Treiben am meisten zusagt, und daß Fortunatus einigermaßen symbolisch dies Volk repräsentirt, das in seinen Flotten auch ein Wünschhütlein besitzt, durch das die ganze Welt ihm zugänglich wird, und mit ihm den unerschöpflichen Seckel, aus dem es immerfort nur schöpft, und Silberströme gießt. Das schwere Gold, – das immer in die Tiefe strebt und zieht, und in dem eine unendliche Trägheit wohnt, und durch Infusion in den übergeht, der sich ihm ergiebt, – hat die Poesie hier beflügelt, indem sie dem Metallkönig den leicht beschwingten, hebenden Federhut aufsetzt, und nun fliegt der neue Hermes leicht schwebend über Länder und Völker hin, und wenn er den Stab schüttelt, dann umwinden die beiden Schlangen sich grimmig eng und fest, und unmuthig werfen sie die goldnen Kronen ab, und indem sie sich jedesmal von neuem häuten, wächst der goldne Schmuck ihnen immer wieder zu, unten aber fällt das Metall wie eine astralische Lebenstinctur hinab, und die müden, matten, schmachtenden Herzen werden davon erquickt, und Lust und Freuden schießen überall in die Höhe, und die Menschen stellen sich in das fallende Tropfen wie in den Mayregen hin, um zu wachsen in Ansehen und Vermögen, und den herrlichen Balsam recht durch alle Poren einzusaugen. Am Ende aber erwürgen sie die Schlangen, um den Eyerstock zu allem dem Golde mit einemmal zu finden, und die ganze Glorie und das wonnenvolle Leben ist zu Ende, und die Ermordeten kehren als Feuerschlangen wieder, die die Mörder an ihren empfindlichsten Theilen wunden. Das ist der Gang des Buches in dem die Fabel rasch wie ein leichter Wind von Land zu Lande eilt; in dem die Einbildungskraft keine Unkosten scheut, und die drei Einheiten auf keine Weise achtet; in dem die Erfindung glücklich, die Handlung gut angelegt und trefflich gehalten und durchgeführt erscheint; in dem überhaupt ein leichter, freier Geist sich kecklich offenbahrt. Wenn auch das Gedicht eben nicht gerade in der besten Zeit geworden ist, wenn die Poesie auch oft in das Abentheuerliche und[200] das Gedicht in die Reisebeschreibung sich verliert, so ist das Ganze doch höchst schätzbar, und in sich rund und vollendet.

Die Meynung Fortunatus sey ein ursprünglich engelländisches Gedicht hat unläugbar vieles für sich; vor Allem, wie wir schon berührt, den Geist des ganzen Werks, jenen unruhig strebendenden Gold- und Handelsgeist; dann daß die Hauptscene des Romans in Engelland und Hibernien liegt, und zweimal dahin wiederkehrt, und mit Wohlgefallen bei dortigen Scenen verweilt, z. B. beim Abentheuer in St. Patricius Fegfeuer in Irland; endlich daß das Gedicht schon in sehr alten Zeiten in der engelländischen Literatur in dramatischer Form sich findet. Inzwischen ist auch Manches was diesen Gründen widerspricht. Quadrio in seiner Storia d'ogni Poesia erklärt ihn für einen spanischen Roman, dessen Verfasser man nicht kenne, der ins Französische von D'alibray Rouen 1670, und dann ins Italiänische 1676 unter dem Titel Avvenimenti di Fortunato, et de suoi figli. Napoli, übersetzt worden sey. Dasselbe sagt auch die Histoire des Aventures heureuses et malhereuses de Fortunatus avec sa bourse et son chapeau. Troyes chez Garnier, wo es heißt:


Si Fortunatus doit sa gloire

A celui qui est son auteur,

Il n'en doit, à ce qu'on peut croire,

Gueres moins a son traducteur,

Car l'un est cause qu'il s'envole

Dans la region espagnole,


L'autre etc.


Das teutsche Buch von Fortunato und seinem Seckel ganz kurzweilig gelesen, gedruckt, und vollendet in der kayserlichen Stat Augsburg durch Heinrich Steyner 1530, zeigt gleichfalls überall die Spuren eines gleichen Ursprungs. So nennt Rupert in der Verschneidungsgeschichte das Thor an dem Aufenthaltsorte des Grafen von Flandern, durch das Fortunatus entkommen könne, Porta de Vacha, das ist die Küport. Ferner die Stadt in Cypern, die Fortunatus seiner Braut zur Morgengabe kauft, soll Larcho nube, ist als vil gesprochen als ein Regenbogen, heißen; das Getränk, das Agrippina dem Andolosia giebt, wird Mandolles genannt, ist ein stark Getränk, sobald man es trinkt, entschläft ein Mensch als ob er todt sey sieben oder acht Stund, sagt der Text; endlich Zoyelier, das spanische Joyelero für Juwelenhändler u.s.w. So ist's daher außer allem Zweifel, daß Franzosen, Italiäner und Teutsche den Roman aus dem Spanischen hergenommen haben, daß er aber dort einheimisch sey, dagegen spricht durchaus der Geist des ganzen Werks, indem kaum irgend eine Spur der spanischen Natur darin zu finden ist. In sich gekehrt und auf sich allein ruhend erscheint diese Natur; wenig von jenem zerstreuenden, unstäten, zerfließenden nordischen Geiste ist in ihr, der zerrinnen mögte in die ganze umgebende Welt und Alles durchdringen und erkundigen. Wollte man allenfalls ihn aus der Zeit herleiten, wo durch die Entdeckung von America der spanische Character eine andere Wendung nahm, und die ganze verborgene Heftigkeit des Nationaltemperaments[201] sich heißgierig dem Gold entgegen wandte, dann steht damit in zernichtendem Widerspruch die Beschränkung der Szene des Romans auf die alte Welt und den Norden von Europa, so daß die Abfassung nothwendig in eine frühere Zeit als jene Epoche fallen muß. Die Periode, in der die Dichtung selber spielt, ist jene Zeit, wo Bretagne noch ein unabhängiges Herzogthum war (bis 1483) wo die Mauren noch das Königreich Grenada besaßen (1480), wo die Türken Constantinopel noch nicht eingenommen hatten (1453), wo Cypern als ein christliches Königreich bestand, die Mameluckensultane Aegypten regierten, und der Wütherich Dracole Weyda die Wallachey beherrschte. Vorzüglich die letzte Angabe fixirt diese Epoche gegen das Jahr 1440, wo dieser Weyda sein Wesen unter den Wallachen und in Siebenbürgen trieb.

Im Ganzen deutet alles bisher Beygebrachte auf einen nordischen Ursprung des Gedichts, daß es aber eigentlich engelländischer Abkunft sey, dagegen spricht besonders eine Stelle, da nämlich, wo Andolosia sich an den engelländischen Hof begiebt: »da thett er so manige ritterliche That, das er für all ander gelobett ward, und wye wol es also ist, das kain Volk auff Erdtrich ist, das stolzer und hochfertiger, nyemant keinen Ehren gunnen noch zülegenn mag, dann ynen selbst, noch dann sagtten sy große Ehr von Andolosia, von der großen Künheit, so er in streyten begangen het, doch so sagtten sy, es wer ymmer schad, daß er nicht ein englisch Mann were, wann sy vermaynen, daß kain besser Volk auff Erdtrich sey, dann sy«. Eine Stelle, die ohne Zweifel wohl kein Engelländer geschrieben haben würde, wenn sie anderst nicht späterer Zusatz ist. Alles zusammen gegeneinander erwogen, scheint es, daß die Abfassung des Romanes mit der Zeit, worin er spielt, durchaus zusammenfällt, und der Ort mit der Gegend wo Fortunatus den Glückseckel erhielt. Nachdem er in London nämlich beinahe gehenkt worden wäre, gieng er nach Bretagne, »das ist ein starkes Land und hat viel hoher Gebürg und groß Wald«. In diesem Walde verirrte er sich, und da erschien ihm Fortuna und begabte ihn, und nun ritt er auf die Hochzeit des Herzogs von Bretagne mit des Königs Tochter von Arragonien, nachdem er vorher von dem Waldgrafen geplündert worden war. An diesem Hofe lebte wahrscheinlich der Verfasser, der also ein Breton war, und von dort aus gieng alsdann die ganze folgende Reise des Fortunatus und mithin der eigentliche Roman aus, indem er da den Leopoldus fand. Man kennt die bedeutende Rolle, die diese Herzoge in der Geschichte der Poesie gespielt; indem sie von der Normandie aus, die selbst wieder ursprünglich eine brittische Colonie war, Engelland eroberten und beherrschten, und bei Hofe ihre Sprache eingeführt; wie unter ihnen beinahe der ganze romantische Kreis der Gedichte von König Artur, den Rittern der Tafelrunde, Merlin u.s.w. sich ausgebildet hat, und beinahe alle Glieder dieser großen Gruppe von dort ausgegangen sind. Was diese Annahme zu begünstigen scheint, ist die Vermuthung, daß der Dichter irgend einen verhaßten Räuber in der Geschichte des Waldgrafen brandmarken wollte; weil nachdem er das Ganze weitläufig erzählt, ein persönlicher Haß dadurch hervorzubrechen scheint, daß er nachdem die ganze Erzählung zu Ende,[202] noch den Namen des Grafen beifügt: »und nam also die roß und gelt Fortunato unredlichen ab, alls man yr noch vil findet, die den leutten das Ir nemen wider alle recht; dieser Waldgraf was genannt Graf Artelhyn der Waldgraf von Nundragon.« So würde daher dieser Roman der nordfranzösischen Literatur angehören, und bei der Verbindung dieses Landes einerseits mit Engelland, andrerseits mit Spanien, eben durch jene arragonische Heyrath, die alsdann als ein historisches Factum angenommen werden müßte, würde sein Uebergang nach jenen beiden Reichen in früherer Zeit, und weiterhin das spätere Vergessen seines eigentlichen Ursprungs leicht erklärlich seyn.

Geht man aber auf die eigentliche Quelle der Fabel des Romans zurück, dann findet man diese in dem Buche Gesta romanorum, die nach der Stelle die Warton in des Theologen Glassius Philologia sacra aufgefunden, und die Eschenburg beibringt, gegen das Jahr 1340 von Berchorius oder Bercheur in der Abtey St. Eloi in Poitou geschrieben wurden. Unter den mannigfaltigen einheimischen, persischen, indischen, neugriechischen Volkssagen, die in diesem Buche gesammelt und mit moralischen Nutzanwendungen versehen sind, findet sich auf dem Blatte IX und X der alten teutschen Ausgabe ohne Jahrzahl auch Folgende:

»Darius, ein gewaltiger König zu Rom, hatte drei Söhne; als er starb, vermachte er den ersten Beiden Reich und Haabe, dem jüngsten, Jonathan, aber drei Kleinot, ein Fingerlin, ein Hefftlin und ein edles Tuch, Alles vom Zauberer Virgilius. Das Erste machte den, der ihn trug bei jedermänniglichen beliebt; das Hefftlin hatte die Tugend, wer es am Herzen trug, und dessen er begehrt, das geschah. Das Tuch aber hatte die Eigenschaft, wer darauf saß, und begehrt, wo er in der Welt wollt seyn, da war er zur Hand. Mit dem Ringe zog Jonathan zuerst von seiner Mutter aus, eine Jungfrau gewann ihn lieb, lebte mit ihm, und forschte ihn aus, woher es doch kommen möge, daß er ohne Gold und Silber doch so wohl lebe, und jedermann ihn lieb habe. Er entdeckte ihr die Macht des Ringes, sie schwatzte ihm denselben ab, unter dem Vorwande, ihn zu bewahren, und als er ihn wieder foderte nach einiger Zeit, that sie bestürzt, und gab vor, die Diebe hätten ihn gestohlen. Er erschrack und weinte bitterlich, und gieng nach Hause, und klagte sein Unglück seiner Mutter. Sie gab ihm mit Warnungen und guten Ermahnungen das Heftlin. Er zog von neuem aus, und die Jungfrau begegnete ihm wieder, sie lebten in Jubel und Freude miteinander, und der Jungfrau gelang es, sich auch des Heftlins zu bemächtigen, indem sie versprach, es diesmal besser zu bewahren. Der nämliche Vorwand wie beim Fingerlin. Jonathan gieng nun zornig zur Mutter, und die gab ihm das Tuch mit der Erinnerung: es sey das Letzte von seinem Erbe. Er eilte hin in das Haus der Jungfrau, die empfieng ihn schön; eines Tags aber breitete er sein Tuch auf im Hause, und bat die Jungfrau, daß sie zu ihm säße. Da sie das thät, da wünschte er sich ans Ende der Welt in eine Wildniß. Da sie erstaunt und verzagt ihn ansah, da foderte er ihr drohend das Entwendete zurück, und sie versprach alles, sobald sie wieder heimgekehrt wären. Er aber entschlief in Freuden, und sie zog das[203] Tuch unter ihm weg, und fuhr nach Hause. Als Jonathas erwachte, that er jämmerlich und verfluchte sich und das Weib, als er aber sich aufmachte und fortgieng, fand er einen Baum voll schöner Früchte, und weil er hungrig war, aß er und ward plötzlich aussätzig. Da er nun klagte und weinte, da fand er einen andern Baum, und dacht, ich will die Frucht auch essen, ob ich etwann stürb, als er aber zur Stund aß, da wurde er rein vom Aussatz. Er kam als er fortzog in eine Stadt, wo der König am Aussatze lag, heilte ihn mit seinen Feigen, und gewann viel Guts. Er gieng dann wieder zum Ort, wo die Jungfrau wohnte, fand sie krank, bot sich ihr als Arzt an, gab aber vor, daß sie zuvörderst ihre Sünden beichten müsse. Sie beichtete den Raub der drei Kleinote, die zu ihrem Kopfe lägen, nun gab er ihr die Feigen, sie wurde zur Stunde noch kränker und starb, er aber nahm die Kleinote und fuhr freudig von dannen.«

Man sieht, daß wenn Fortunatus nicht von diesem Buche ursprünglich ausgegangen ist, Beide wenigstens aus einer und derselben Quelle schöpften. Wir haben seine eigentliche Abfassung in die erste Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts versetzt, um dieselbe Zeit mogte Montevillas Reise in allgemeinen Umlauf gekommen seyn, und die Geister zu erwärmen beginnen. Es war daher natürlich auf den Gedanken zu fallen, die Poesie des Reisens in eine Dichtung zu übertragen, und dazu bot sich eben die Idee von jenem Zaubermantel leicht und glücklich dar. Die Reise des Fortunatus geht beinahe in alle jene Gegenden, die auch Montevilla besuchte; nach Aegypten, Arabien, Indien wo der Pfeffer wächst, in die Tartarey und zum Priester Johannes. Ausdrücklich sagt das teutsche Buch bei Gelegenheit der indischen Reise: »wöllicher aber das gern wissen will, der leß das Buch Johannem de Montevilla, und andere mehr Bücher, deren die solliche Land alle durchzogen sind.« Es ist zwar möglich, daß diese Stelle Zusatz des teutschen Uebersetzers ist, der auch mit ächt teutschem Fleiße bei den europäischen Reisen überall den Meilenzeiger beigefügt hat; indessen verräth der abentheuerliche Reisegeist, der in diesem Buche schon erwacht, und gleichsam symbolisch den Entdeckungsgeist der nächstfolgenden Hälfte des Jahrhunderts vorbedeutet, unläugbar den Einfluß jener älteren Reisen in die Poesie, den wir oben auseinandergesetzt, und der romantischen Ideen, die von ihnen aus sich in die Literatur verbreitet haben.

Quelle:
Joseph Görres: Die teutschen Volksbücher, in: Joseph Görres, Gesammelte Schriften, Band 3: Geistesgeschichtliche und literarische Schriften I (1803–1808). Köln 1926, S. 200-204.
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