10.

[193] Des vortrefflich welterfahrnen auch hoch und weitberühmten Herren Doctor und engländischen Ritters Johannis de Montevilla, kurieuse Reisebeschreibung, wie derselbe in das gelobte Land Palästinam, Jerusalem, Egypten, Türkey, Judäam, Indien, Chinam, Persien und andern nah und fern an- und abgelegene Königreiche und Provinzen zu Wasser und Land angekommen, und fast den gangen Weltkreis durchzogen seye. Von ihme selbst beschrieben. Köln am Rhein und Nürnberg.


Ein zweifaches Interesse hat dieses Buch. Vorerst muß ein eigner Reiz auf einer Reise liegen, die vor beinahe fünfhundert Jahren nach dem gelobten Lande gieng; um eine Zeit, wo der religiöse Enthusiasmus eben noch wie ein glühender Sommer über Europa hieng, und Heerhaufen und Nationen wie Gewitter hinübergetrieben hatte zum heiligen Grabe, um dort auf die Ungläubigen sich zu entladen; wo der hohe Vatikan mit den Heiden um die heilige Sion den blutigen Kampf gerungen hatte; wo alle christlichen Völker nach dem wundervollen Himmelszeichen blickten, das im Orient aufgegangen war, und über den Gräbern der Heiligen stand; wo die ganze Christenheit mit inbrünstig frommer Andacht vor jenen geheiligten Stätten lag, an denen der Himmel mit der Erde in unmittelbare Gemeinschaft getreten war, und Diese daher den Frommen in einem überirdisch verklärten Lichte nachglänzte und schimmerte: – eine Stimme, die aus dieser wunderbar erregten Zeit zu uns herübertönt, muß eine eigne Rührung in uns wecken. Jede Stelle war dort von dem Göttlichen und seinen Verkündigern berührt; dort erscheinen Fußstapfen noch dem festen Steine eingedrückt; dort weinen die Felsen der Martern wegen, denen sie Zeugen waren; dort wogt das galiläische Meer noch, auf dem der Herr umwandelte; dort der Thabor, Oreb, Sinai, Jordan, Golgatha, das Thal Mambre, die Wüste, dort die Geburts- und Schädelstätte. Zu allen diesen Wunderspuren der neuen Religion nun noch die der Aeltern; die ganze historisch religiöse Schaubühne des alten Testamentes, das ebenfals ganz in diesem Lande und seiner Nähe spielt; dazu endlich die Naturwunder der[193] Gegend selbst, die Wüsten, das todte Meer, der Weg durch Aegypten, der Nil, ein Paradiesesfluß, und auf dieser zauberreichen Stelle nun die Himmelsinsel in Mitte der irdischen Wüste, und dabei das wilde kräftige Leben, was in der Gegenwart und der Vergangenheit dort geglüht: das Alles zusammen mußte jeden ergreifen und begeistern, der irgend noch des Enthusiasms fähig war. Das ist das religiöse Interesse, was in diesem Buche liegt, aber es hat außer dem Wissenschaftlichen, daß es über den Zustand von Asien in jener fernen Zeit uns Aufschlüsse giebt, noch ein drittes Poetisches, das man zwar bisher wenig beachtete, das aber nichts destoweniger, wie die Folge ergeben wird, einen großen Einfluß auf den Gang der romantischen Poesie gewonnen hat. Montevilla drang, zwar nicht der erste Reisende der neuern Zeit, bis an die Gränze der bekannten Welt vor, aber vor allen seinen Vorgängern hat ihm ein günstiges Geschick eine größere Celebrität verschafft, so, daß er darum seiner Zeit und der ganzen Folge als der Erste galt. Im Alterthume, als die ganze bekannte Welt nicht weit über den Kreis des mittelländischen Meeres hinausreichte, da war auch in diesem Kreise das Feld der Erkenntniß und der verständigen Beobachtung beschlossen, gegen die Gränzen hin, und außer den Säulen des wandernden Hercules fieng das Reich der Poesie, der Fabel und der Mythe an. So lagen daher noch innerhalb desselben die Wunderinseln der Circe und Calypso, die Abentheuer der Scylla und Charybdis, die Bergriesen in Sizilien und die Sonnenrinder, jenseits aber Elysium, und der Tartarus. Indem in der neuern Zeit der Kreiß des Verstandes und der Erkenntniß sich immer mehr erweiterte, indem der Geist seine Wirkungssphäre immer mehr und mehr verbreitete, und doch die Poesie ihre Ansprüche keineswegs aufgeben wollte, mußte nothwendig das Wunderland weiter und weiter in die Ferne weichen, schon mit den Eroberungen Alexanders war es nach Indien übergegangen. Indem aber in den neueren Zeiten das Christenthum an die Stelle der alten Mythe trat, mußte auch das Elysium dem Paradiese weichen, und wie die alte Zeit ihrem Hados seinen Standpunkt jenseits der Säulen des Hercules gab, so suchte die Neue ihr Paradies jenseits den Säulen Alexanders im Morgenlande, wo es ohnehin schon die heiligen Bücher an den Ursprung der vier Flüsse hingewiesen, und diese Gegend mußte daher nothwendig zum Mittelpunkte des ganzen romantischen Fabelkreises werden. Und so ist sie es denn auch in den frühesten Zeiten schon geworden, die Herolde dieser neuen Wunderwelt aber waren die Heldengedichte und Romane über Alexander. Dieser gewaltige Mensch, der mit starker Faust die große Asia an die stärkere Europa band, der mit seinem Heere den ganzen weiten Welttheil durchkämpfte und besiegte, der unvergeßlich daher dem Andenken aller der vielen Völkerschaften sich einprägte, mit denen er in Berührung gekommen war, mußte als ein würdiger Gegenstand der neuen Poesie erscheinen, und wie er die Brücke zwischen den beiden Welttheilen war, so auch die Brücke zwischen beiden Zeiten werden, und das Medium, in dem der Uebergang der einen Mythe in die Andere geschah. Die Fabeln, die in den ältesten Zeiten schon über den Zug Alexanders nach Indien im Umlauf waren, gaben dabei die Basis aller nachfolgenden Dichtungen her. Was[194] Strabo von den Ameisen erzählt, die groß wie Füchse, das Gold aus den Minen ziehen, dem Bericht des Megasthenes gemäß, der als Gesandter des Königs Seleucus am Ganges war; was Ctesias von dem Martichore erzählt, einem Thiere das ein Menschengesicht trägt, dann von den Cynocephalen und den Quellen, die flüssiges Gold ausströmen; was sich bei Plinius und Solinus von den Scyriten, den Astomen, die nur vom Geruche leben, den Pigmäen u.s.w. findet, begründete schon einen Fabelkreis, den man in der Folge nur erweitern durfte, um die Poesie der Zeit in ihn zu bannen. Schon bey Julius Africanus, der im dritten Jahrhundert lebte, findet sich die Fabel vom Nectanebo dem ägyptischen König, angeblichen Vater Alexanders, und in den frühern Zeiten schon rundet das Ganze sich zum Epos, in der Alexandriade des Arianos in vier und zwanzig Gesängen, in der des Kaysers Hadrian und des Soterichos aus der Oasis in Libyen, der die Eroberung von Theben besang. Aber ganz eigentlich zur Vollendung kam erst diese romantische Heracleide, in dem Werke des falschen Callisthenes, dessen Verfasser, wahrscheinlich ein neugriechischer Mönch, wie man glaubt gegen das zehnte Jahrhundert lebte, von dem aber das Original, wie es scheint untergegangen ist, und nur noch in den Nachbildungen lebt. Mit allgemeinem Beifall wurde dies Werk im Orient und Occident aufgenommen, und La Croix in seinem examen critique des historiens d'Alexandre le grand, zählt vierzehn verschiedne Ausgaben im Lateinischen, jede beinahe von der andern durch willkührliche Erweiterungen und Interpolirungen verschieden, worunter die Historia Alexandri magni de praeliis (1489) die meiste Celebrität erlangt zu haben scheint. Ganz im neuern Mönchsgeist ist das Werk geschrieben, in der äußern Form ungeschickt und ungelenk; man möchte sagen alle die schönen, reinen Umrisse der antiken Bilder seyen mit der steifen Kutte verdeckt, aber über der Verhüllung steht ein heiteres, verklärtes Auge, und eine feuervolle Phantasie brennt aus ihm hervor. Der Dichter sammelte die alten Sagen, die im Orient und Occident nach und nach über den Gegenstand sich gebildet hatten, und indem er diese Traditionen nur zu einem Ganzen aneinanderreihte, entstand go das sonderbare Werk, vielleicht das Erste eigentlich Romantische, das den Geist der neuen Poesie, den neugriechischen Gemählden gleich, mit wenigen geraden, kunstlosen aber scharfen, treffenden Zügen bezeichnete, und zuerst die ältere farbenlose Plastik in ein modernes Farbenspiel sublimirt. Zusprechend dem Geist der Zeit, nahm es diese auch dankbar auf; mächtig drang in ihm der Orientalism in die Ideenmasse des Occidents ein; viele Heldengedichte, Romane und Romanzen giengen in den Hauptsprachen aus ihm hervor, worunter der Roman d'Alexandre le grand et de Cliges son fils noch in das Ende des zwölften Jahrhunderts fällt. Aber vorzüglich auch Montevilla trug zur Verbreitung und Aufnahme dieser neuen poetischen Weltanschauung bei; indem er die meisten jener Fabeln als Gesehenes und Erlebtes in seine Reise brachte, accreditirte er sie auch dem Verstande durch die Wahrheit der unläugbaren Thatsachen, mit denen er sie zusammenband, und gab so dem phantastisch Flüchtigen eine gewisse Realität für die wirkliche Welt, ohne die es doch immer nicht leicht zum allgemeinen Volksglauben[195] wird. Das Paradies, erzählt der Roman, liegt im fernen Indien auf dem Berge von Adamanten, und reicht hinauf zum Monde; zwölf Thore hat der Pallast, 2500 Staffeln von Saphir der Zugang, innen liegt auf goldnem Bett ein Greis weiß von Haupte als eine Taube; im Garten aber steht der Baum der Sonne mit goldnen, der des Mondes mit silbernen Blättern, und wahrsagen Alexandern, der dann an den Eingang die beiden Marmorsäulen setzt; das Alles hat Montevilla beinahe wörtlich, aber wie in eigner Ansicht erfahren, aufgenommen. Eben so das düstre Höllenthal, wo der Teufel in Gestalt eines greulich, finster, grausamlichen Hauptes unter Donnern und Blitzen schwebt, und in das der Reisende selbst hineingegangen, trifft auch Alexander in seinem Zuge schon, das Sandmeer, und die Bäume, die Morgens aus der Erde kommen, zur Nacht aber wieder in die Erde kriechen, sind eben dorther entlehnt. Die Erzählung von dem dunkeln Lande, aus dem beständig Menschenstimmen tönen, und in das die Nachkommenschaft eines heidnischen Königs, der die Christen verfolgte, auf ihr Gebeth vom Himmel gebannt und gefangen wohnt; die alt persische Sage, die auch der Koran schon erwähnt, von den Geschlechtern Gog und Magog, und den drei und zwanzig Königen, die alle Alexander zwischen zwei Berge, die auf sein Gebeth einander sich genähert, eingeschlossen, und mit einer Pforte versperrt, an der das Eisen bricht und das Feuer erlischt; der goldne Baum mit den künstlichen Vögeln, die im Laube singen; der Vogel Phönix, die Greifen, die Riesen und die Zwerge, die Meerweiber und Meermänner, die Amazonen, und alle jene Fabeln über die seltsamen Menschen, die wir oben angeführt, finden sich in dem Romane beynahe mit den gleichen Worten wie in der Reise wieder, und Montevilla, indem er sie in sein Werk verflocht, wurde bei der allgemeinen Verbreitung, die dasselbe in seinem Zeitalter gewann, zum unmittelbaren Organe jener neuen Mythe und zu ihrem Zeugen; er erscheint daher gleichsam als der Odysseus der neuern Zeit, der vom fernen Fabellande Kunde brachte, und wahrhaften Bericht, wie er es befunden. Indem aber in der Folge bei dem Sinken der Poesie und dem abstracteren Character, den die Religion annahm, die Mythe ihre Bedeutung verlohr, da blieb der Reise nichts als allein das geographisch Scientifische zurück, und als der Verstand sie nun zum Object seiner Anschauung nahm, mußten alle jene Fabeln ihm als reine Lügen erscheinen, und so kam er in der spätern Zeit in den Ruf des größten Lügners und Aufschneiders unter allen Reisenden. Diese Beschuldigung ist indessen keineswegs gegründet; was er selbst sah, beschreibt er genau und treu, und seine Autorität ist durchaus gültig, und sein Zeugniß wahrhaftig. Was er über den Zustand Palästinas sagt, wird Alles bestätigt durch den Bericht seines Zeitgenossen, des Mönchs Proccardus, der auch eine Reise nach dem gelobten Land geschrieben. Bei dem was er über die entlegneren Gegenden beigebracht, muß man Rücksicht nehmen auf seine Vorgänger, die dieselben Gegenden wie er besucht und beschrieben haben. Montevilla reiste im Jahre 1322 von St. Alban aus, kam in Aegypten in die Dienste des Sultans Melek Madarons; er diente ihm in seinen Kriegen, und dieser gewann ihn lieb, und wollte ihn durch Verheyrathen an sich fesseln;[196] er schlug es indessen aus, weil er die Religion hätte wechseln müssen. Bei dem großen Landverkehr, der damal durch die Häfen des mittelländischen Meeres mit Indien getrieben wurde, kam es ihm in den Sinn, auch dieß Land zu besuchen, und er führte den Einfall aus, und er und vier Andere mit ihren Knechten dienten dem Chan von Chatay Thiaut fünfzehn Monate lang in seinem Kriege gegen den König von Manthi, und das allein, wie er sagt, um den Reichthum, die Ordnung und das Regiment seines Staates zu besehen. Er erzählt, wie er durch seine Beobachtungen am Astrolab gefunden habe, daß er auf diesen Reisen von der Hälfte der Erdoberfläche von 180° nordwärts 72° gesehen habe, und überdem 33 Grade von dem südlichen Quadranten, »und hätten wir Schiffe gefunden und Gesellschaft um weiter zu gehen, ich meine, sagt er, wir hätten die Rundheit der Erde umfahren.« Nach vielen Jahren kehrte er zurück, und schrieb nun bey eintretender Kränklichkeit drei und dreißig Jahre nach seiner Ausreise 1355 die Reise. Aber über ein halbes Jahrhundert war ihm der Venetianer Marco Polo darin zuvorgekommen. Dieser hatte mit seinem Vater siebenzehn Jahre lang von 1275 an am Hofe des großen Chan Cublai verweilt, wußte sich bei ihm in großes Ansehen zu setzen, so daß er in den mannigfaltigen Geschäften, zu denen er gebraucht wurde, beinahe alle die Gegenden besuchte, die später auch Montevilla sah, und kehrte im Jahr 1295 über Indien nach Venedig zurück. Sein Aufenthalt an diesem Hofe fiel eben in die Periode des höchsten Glanzes jenes großen Tartarreiches, das der Schrecken der ganzen alten Welt im Mittelalter war. Nie hat die Geschichte eine größere Herrschaft gesehen. Während die Gränzen nordwärts bis ans Eismeer gingen, und des großen Chan's Untergebne dort auf Hundeschlitten Zobel, Hermeline und blaue Füchse zum Tribut für ihren Fürsten jagten, hatte er südwärts von dem größten Theile von Indien sich Meister gemacht, und die Edelgesteine, die Perlen und Gewürze dieses Landes strömten gegen Rindenassignaten in seinen Schatz, und selbst die Inseln erfuhren häufig die Stärke seines Arms; während er auf gleiche Weise ostwärts China eroberte, und Armeen über das Meer zur gleichen Bezwingung Japans oder Zipangri's aussendete, drang er westwärts durch das eiserne Thor in Vorderasien ein, zerstörte das Reich der Caliphen in Bagdad, kämpfte oft und heftig mit den Sultanen in Aegypten um Syrien und Palästina, und ergoß sich nordwestwärts verheerend über Polen, Ungarn, gegen das Herz von Oesterreich hin, und alle Staaten des weiten Asiens binnen jenen fernen Gränzen gehorchten dieser ungeheuern, gigantesken, wilden Macht, die an Umfang weit die römische Weltherrschaft und das alte persische Reich übertraf. Marco Polo's Bericht1 von allem was er dort gesehen, von Sitten, Gebräuchen, Begebenheiten und Merkwürdigkeiten ist treu, einfach, und wahrhaftig, und es ist kaum zu bezweifeln, daß Montevilla ihn bei Abfassung seiner Reise vor sich liegen hatte. Die Erzählung von dem Alten vom Berge, der ein Paradies für Meuchelmörder[197] angelegt hatte, findet sich genau so, wie er sie erzählt, bei M.P. Eben so die Erzählung vom großen Rubin des Königs von Ceylon, Die vom Grabmahl des heiligen Thomas, und das meiste was die Berichte über die Sitten der Tartaren beibringen, und über den Hofstaat des großen Chans ist meist völlig gleichlautend in Beiden. Auch der Priester Johannes kömmt bei Marco Polo schon vor, und er nennt ihn Uncha, einen indischen König, dem vorher die Tartaren zinsbar waren. Vom Fabelhaften hat er dabei nur einen leichten Anflug; geschwänzte Menschen, und Menschen mit Hundeköpfen erwähnt er einmal, so auch der Gegenden Gog und Magog, aber ohne von den eingeschlossenen Juden etwas zu erzählen; er beschreibt den Baum des Lebens, aber ohne weiter etwas von ihm beyzubringen, als seine Blätter seyen oben grün und unten weiß. Dann erzählt er am Ende noch: auf den Inseln südwärts von Madagascar, solle der wunderbare Vogel Ruc leben, mit zwölf Schritte langen Schwungfedern, der einen Elephanten durch die Luft fortführen könne, der aber doch kein Greif sey, sondern zwei Füße wie andere Vögel habe. Außer M.P. scheint Montevilla auch den Haython gekannt zu haben, der aus der Familie der Könige von Armenien, an allen den zahlreichen Kriegen der Tartaren mit den Sultanen von Aegypten Antheil nahm, am Ende Prämonstratenser-Mönch wurde, und de Tartaris Liber schrieb. Die Erzählung vom ersten Ursprung des Tartarreiches mit Changis-chan, und seine folgenden Feldzüge und Begebenheiten, sind wörtlich daraus entlehnt; ebenso die Entthronung des Califen von Bagdad und sein Hungertod; endlich die ganze Geschlechtsfolge der Sultane von Aegypten, und alles was es über ihre Geschichte beigebracht. Auch die Erzählung von der Provinz Hamsen in Georgien, die drei Tagreisen im Umkreis mit Nacht und Dunkel bedeckt, obgleich bewohnt ist, wie im Alexander. Nachdem man alles das als fremdes Eigenthum von Montevilla's Berichte abgezogen, bleibt ihm immer noch ein bedeutendes unzubestreitendes Eigenthum zurück. So beschreibt er richtig und genau die Brutöfen in Aegypten, den Gewinn des Balsams und die Kennzeichen des Aechten und Unächten, die Brieftauben; ferner den Fundort, das Ansehen, die verschiedene Güte und die Bearbeitung der mancherley Diamanten; eben so die Niederlage des venetianischen Handels auf Ormus; er schildert ausführlich und genau die Sitten und die Religion der indischen Völkerschaften und Inseln, die er alle der Reihe nach durchgeht; er beschreibt den Wachsthum, die Sammlung und die verschiednen Arten des Pfeffers; er spricht vom heiligen Thomas und den Thomaschriften; von den Gymnosophisten, wie sie bei den Götterfesten sich unter die Wagen werfen; wie die Weiber nach dem Tode ihrer Männer sich mitverbrennen; wie man südwärts des Aequators einen andern Polarstern sehe, weswegen die Erde rund seyn müsse; er giebt ausführliche Nachricht über die Crocodile, den Hippopotamus, den Elephanten, die Giraffe, die Klapperschlange, die Papageyen, das Chameleon, den Cocos und den Baumwollenstrauch. Er schildert mit großer Lebhaftigkeit und Anschaulichkeit den Glanz, die ungeheure Pracht und die Sitten des Hofes von Cathay und die Macht des Landes, was eine der interessantesten Parthien des Buches ist. Er kennt die Mirage, indem[198] er erzählt, auf der Insel Ceylon erscheine das Meer wohl so hoch, daß es den Anschein gewinne, als hinge es in den Wolken; eben so kennt er die langen Nägel und die kleinen Füße der Chinesen. Um aber das alles in ihm zu finden und zu erkennen, darf man ihn durchaus nicht in den corrupten Uebersetzungen und im Volksbuche, sondern muß ihn in einem der älteren Manuscripte lesen. Das, worauf das Gegenwärtige sich bezieht, ist ein Pergamentcodex vom Jahr 1420, aus dem Lateinischen und Französischen, in dem M. schrieb, ins Niederteutsche sehr correct und sorgfältig übersetzt. Vergleicht man damit die ältere teutsche Uebersetzung, die der Domherr von Metz, Otto von Demeringen um 1483 gemacht, die dann in die neuere teutsche Sprache übertragen im Reißbuch des heiligen Landes von 1609 sich findet, aus dem nun das Volksbuch wieder ein genauer Abdruck ist, dann findet man, daß Beide kaum einander mehr ähnlich sehen. Nie ist ein Schriftsteller so mißhandelt worden: außer dem, daß nach der grundlosesten Willkühr alles verrenkt und verschoben ist, daß man die ganze Ordnung des Buches umgekehrt, hat der Uebersetzer sich jede Art von freventlicher Verstümmlung erlaubt. Beinahe kein einziger Orts- oder Personalnamen ist unverkrüppelt geblieben, und diese Mißhandlung hat häufig den höchsten Unsinn hervorgebracht. Außer dem, daß der große Chan zum großen Hund geworden ist, steht z.B. gleich auf der ersten Seite statt Cypern, Cypion; statt Bulgarien, Balgerland; statt Adrianopel, Napoli. Während es im Originale heißt: die Dornencrone liegt gar köstlich verziert in einem crystallnen Gefäße; verstümmelt die Uebersetzung: gar köstlich verschmiedt in einer Crystalle. Meleckmanser spielte einst Schach, und sein Schwerdt lag bei ihm, und der Ritter, der mit ihm spielte, ward zornig und tödtete ihn damit, so erzählt M.; sein Uebersetzer aber: als Lachim einst spielte mit dem Ritter Schatzabel, wurden sie uneins etc. Ganz zum unkenntlichen Nonsens ist das historische Register der ägyptischen Sultane geworden; die fünf ägyptischen Provinzen, die das Original richtig Sahit, Demesre, Resich, Alexandria und Damiette nennt, heißen hier Erzbisthümer Safte, Moset, Resch, Alexandria, Danuten, und so ist in der ganzen Folge nicht ein einziger Eigennahmen, der sich gleich geblieben wäre. Und wieder während der Uebersetzer ganz willkührlich was ihm gefällt, wegläßt, und darunter häufig das Wichtigere, schiebt er bei jeder Gelegenheit die Thaten des Ogier aus den Heldenromanen Carls des Großen bis nach Indien ein, von dem M. nichts weiß. So ist denn das Ganze zu dem verworrenen Galimathias geworden, den das gegenwärtige Volksbuch darstellt: gleich als hätte es ein Nachtwandler auf seinen nächtlichen Wanderungen, ungeschickt herumtappend, und beständig von confusen Rückerinnerungen aus dem Tage geirrt, geschrieben, so muß es jedem erscheinen, der es in seiner gegenwärtigen Gestalt erblickt. Immerhin würde er verdienen, daß irgend jemand seiner sich annähme und ihn edirte; die Geographie des Mittelalters hat kaum ein interessanteres Denkmal aufzuweisen. Wir selbst aber haben uns hier länger bei ihm aufgehalten, theils eben jener inneren Wichtigkeit wegen, theils um, indem wir in ihm schieden, was ihm selbst und was der Poesie, was Marco Polo, Haython, was dem Uebersetzer angehört, an einem auffallenden Beispiel zu zeigen, wie seltsam[199] durcheinanderlaufend die verschiednen Richwngen in den Werken dieser Zeit sich verschlingen und durchkreutzen, und wie schwer es hält, diese verworrene Mannigfaltigkeit in ihre Elemente zu decomponiren, und irgend eine besondere Ansicht durch das Gewirre aller der ineinandergeknüpften Fäden zu verfolgen.

1

Unter andern im Novus orbis Regionum ac Insularum veteribus incognitarum. Basileae apud J.K. Hervagium 1532.

Quelle:
Joseph Görres: Die teutschen Volksbücher, in: Joseph Görres, Gesammelte Schriften, Band 3: Geistesgeschichtliche und literarische Schriften I (1803–1808). Köln 1926, S. 193-200.
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