Attis


Eine Erzehlung

Seinem zweeten Bruder zugeeignet.


Als vor nicht langer Zeit der schlanke Attis,

Um seines Bruders Hintritt noch betrübt,

In melancholischen Gedanken irrte,

Sties er bey eines dunkeln Waldes Schlus,

Von ohngefähr an eine grose Wiese,

Die schöneste der Wiesen weit und breit,

Anmuthiger, als die hesperschen Gärten.

Da wallte sorgenlos und ohne Furcht,

Als wüst es nicht, wie reizendschön es ist,

Ein Schäfertöchtergen, im grünen Grase,

Das mit dem Morgenroth gekommen war,

Des Frühlings erste Kinder einzusammeln.


Ihr Angesicht war unter sich gekehrt

Auf die bethaute Flur, wo sie gebückt,

Die zarte Hand rundum spatzieren lies,

Und braune Veilgen, schweflichte Narzissen,

Und blaue Hyacinthen, oder auch

Des Crokus Safranblume niedlich pflückte,

Wozu sie noch wohlriechenden Lavendel,

Gesunden Thymian und kräftgen Quendel,

Der holden Düfte wegen mischete;

Zu welchem Brauch? das wuste sie itzt nicht;

Doch sie erfuhrs. Auch du erfährsts mein Leser.
[33]

Indem sie so in ihrer Unschuld gieng,

Mit Lieblichkeit auch ungeputzt umgeben,

Ward Attis sie gewahr. Er stutzt, steht stille,

Macht seine grosen Augen noch so groß,

Und trinkt sich so an ihrer Schönheit trunken,

Daß er nicht weiß, wie, was, und wo er ist.

Bald meynet' er, er fang erst an zu leben,

Denn dünkt es ihn, ein zauberischer Traum,

Zeig ihm Arkadiens unschuldge Fluren,

Wovon die ewge Schaar der Dichter singt.


Nach hin und her gewältzeten Gedanken,

Erkennt er, was er sieht, gläubt was er fühlet,

Und murmelt in sich selbst:

»ich sehe nun

Daß diese Trieft ein günstger Gott bewohnet,

Der meinen Geist mit seiner Gottheit speist.

Der weisse Tag, der hier mit Zittern schwebet,

Bringt mir die Ruh auf seinen Schwanenflügeln,

Nach welcher ich so lang umsonst gerennt.

Dies ofne Feld bezaubert meine Sinnen;

Es gleicht an Frölichkeit den Sonnentrieften,

Wo sonst mein Freund in Rosen weydete,

Dem wie mich dünkt (hier zeigt er mit dem Finger,

Zur Hirtin hin,) das zarte Bild dort gleicht,

Um welche Güte, Sanftmuth, Huld und Keuschheit

In festverschlungnem Ringe munter hüpfen.

Sie ist so tugendhaft und jung, als er,

Doch reizender, und würdiger der Liebe.

Kaum seh ich sie, so nimmt mein Leid die Flucht,

Der Rasen hier, der sonnenhelle Anger,

Wo ich sonst weinend gieng, lacht mich itzt an,

Weil ihre Gegenwart ihn lustig macht.

Ich fühls, ich fühls, ein mir geheim Geschicke,

Reist meinen Geist zu ihrem Geiste hin,

Und wenn sie mir nicht willig günstig wird,

Werd ich für Gram mein Leben niederlegen.«
[34]

Wie Attis so sein innerstes eröfnet,

So fällt ihr Blick vom Schmeltz der blühnden Au,

Da sie sich, (ohne dies schon allzureizend,)

In ihr schwartzbraunes Haar ein Blümgen steckt,

Von ungefähr auf ihn. Gleich färbt die Scham

(Als hätte sie was sündliches begangen)

Ihr zartes Wangenpaar mit solchem Purpur

Wie wenn das Abendroth am Meere lächelt.

Drauf flieht sie ungeheissen von der Stätte,

Läst in der Eil ihr nettes Körbgen stehn,

Zieht ihren dünnen Schleyer vor die Augen,

Und springet, wie ein Reh, das Zephir schreckte,

Mit rascher Schüchternheit durchs Grüne hin,

Mit ihrem langgefalteten Gewande,

Das sie aus gewohnter Reinlichkeit

Von vornenher ein wenig aufwärtshub,

Von Blum und Klee die hellen Tropfen streifend,

Und einen neuen Pfad durchs Feld sich zeichnend.


Als er sie fliehen sah, schlug ihm das Hertze,

Und ihre Liebe schien ihm lieblicher,

Und ihre Jugend schöner noch zu gläntzen,

So sehr erhebt Schamhaftigkeit die Schönheit.

Er meynete, in ihr lauf all sein Wohl,

Und all sein Glück, sein Leben selber fort.

In seinen Augen, die in Liebe flammten,

War Stillstehn hier die gröste Lasterthat.

Er hätte dir kein Königreich genommen,

Mit denm Beding, ihr itzt nicht nachzulaufen.


Er hub demnach geschwind ihr Körbgen auf,

Und als er es mit den gepflückten Blumen,

Die sie aus Angst verschüttet, angefüllt,

Folgt er ihr nach mit unverwandten Blicken,

Wie einer Turteltaub ihr Täuber folgt.

Er hätte nicht geschwinder laufen können,

Wenn sie auf dieser Welt die Einzge wär.[35]

Kaum bog sein Schuh das Wegkraut unter ihm.

Drum sagt man auch, daß, seinen Lauf zu fördern,

Die Liebe selbst die Fittich ihm gelehnt.


Itzt, da er schon in ihrem Schatten lief,

(Denn sie lief morgenwärts der Sonn entgegen)

Da seine Sohlen ihre Sohlen jagten,

Und schon ihr Nacken seinen Odem fühlte,

Sprach er demüthigbittend so zu ihr:


»Ach! stehe doch, du junge Keuschheit stille,

Die Liebe selbst ersuchet dich durch mich,

Die meinen Gang auf dieses Feld geleitet,

Daß mir nach langer Nacht der Traurigkeit,

Ein goldner Stral der Morgenröthe scheine,

Nachdem ich lange schon den Freund gesuchet,

Vor dessen Blick die Wüsteneyen flohn,

Den ich, wie mich, und meine Wohlfarth liebe,

Wiewohl er läufft, als lief die Sünde nach:

Nun da ich dich erblicket, dünkt es mir,

Ich hab in dir ihn völlig wieder funden,

So sehr bistu an Lieblichkeit ihm gleich;

Ach! gleich ihm doch an Gutheit auch für mich.

Ich habe ja, dem Himmel ists bewust,

O einge Zierde dieser weiten Felder,

Wie über uns die rothe Sonnenfackel

Bey Tag die einge Zier des Himmels ist,

Zu aller Zeit die Tugenden geliebet,

Die ich in deinem sittsamen Betragen,

Und in der keuschen Flucht vor mir bemerke.

Um deren willen bistu mir so schön,

Daß ich dir nachgezogen, willig folge,

Durch deinen Mund mein Glücke zu erfahren;

Und ob ich weis, ich sey nicht deiner werth,

Doch lieb ich dich, wie michs der Himmel heisset,

Der dich aus Huld für mich so reizend schuf,[36]

Dich selbst entbehrt, damit er mich beglücke,

Weil ohne dich ich niemahls glücklich wär.


Empfange denn von meiner Hand dies Körbgen,

Voll zarter Blumen, die ich neiden muß,

Weil du, sie aufzusuchen, selbst gekommen,

Du, sittsamer, als diese Veilgen selbst,

Und keuscher, als die keuschsten Lilien,

Und frischer, als des Mayes frischste Rosen,

Die an Geruch weit minder reizend sind,

Als du an Freundlichkeit und sanften Sitten,

Empfange sie, doch auch zugleich mein Hertz,

Das rein, und offen, und durchsichtig ist,

Wie die Crystallen dieser Wiesenquelle,

Das alles hat, wann es nur lieben darf,

Und Reichthum, Ehre, Ruhm und Lust verachtet

Für einen Blick, den du mir lächeln giebst.

Und bleibe denn mit mir auf dieser Heide,

Wo dich vordem die Myrthenstauden sahn,

Als dir des Lebens erster Stral begegnet,

Und wo die Redlichkeit, die holde Scham,

Und wahre Lieb im Grünen sich ergehen,

Seitdem die Könige sie weggebannt.

Da wollen wir von Sünd und Laster frey,

Im hellen Angesicht des Himmels selbst,

Ein unbeflecktes Schäfer-Leben führen;

Denn wird die Gegend unter deinen Füsen,

Durch deiner braunen Augen Glantz verjüngt,

Mit immerfrischem Klee und Kraut sich schmücken,

Und jedes Blatt im nahen Lorbeerhayn,

Wird dir zum Ruhm zu einer Zunge werden,

Und Tag und Nacht dem Himmel, Erd und Luft,

Von deinem Reitz, und meinem Glücke singen.«


So sittsam bat er sie um Gegengunst,

Und lief ihr nach biß unten an die Wiese,

Wie dem gehörnten Mond das Her der Sterne,[37]

Und wie dem Sternenheer die Stille folgt.

Ihr Odem fieng nun an sie zu verlassen,

Auf ihrem Angesicht stand heisser Schweis,

Die Füse wollten sie nicht weiter tragen,

Und vor ihr flos ein krummer Schlangenbach,

Der schreckte sie mit zornigem Gemurmel,

Und drohete, mit ausgespannten Armen,

In ihrem spröden Lauf sie aufzuhalten.


Die stand demnach, aus Scham sich röthend, stille,

Dreht ihre Augen seinen Augen zu,

Und als sie ihn in einer Stellung sah,

Daß er den Blumenkorb ihr zitternd reichte,

Konnt sie ihm länger nicht so grausam seyn.

»Ach!« seufzte sie im innersten der Brust,

»Wofern ich länger flöh, was hülf es mir?

Er sitzt mir schon im Schreine meines Herzens;

Er bittet viel zu schön, zu tugendhaft,

Als daß man ihm nicht eilend helfen sollte.

Ich fürchte sehr, wofern ich ihn nicht liebe,

So liebt mich auch die holde Tugend nicht.«


Sie nahm ihm drauf den Korb, sich neigend, ab,

Und sas auf weichem Moos mit Wohlstand nieder,

Er aber blieb, sein Hütgen haltend, stehn,

Und sprach mit Blicken fort, in welchen Tugend,

Und Zärtlichkeit, und Innbrunst funkelten.


Was thut die Schöne da? Sie schüttete

Das gantze Blumenheer in ihre Schürtze,

Und fieng für ihn ein schönes Cräntzgen an:

»Kömmt, sprach sie, Blümgen kömmt, krönt diesen Schäfer,

Wenn er euch trägt, seyd ihr noch eins so schön.«
[38]

Da lächelt er vor Freuden, und vor Freuden

Fiel Hut und Hirtenstab ihm aus der Hand.

Er hub sie auf und schwieg. O süses Schweigen!

Wofern man schweigt, dieweil man glücklich ist.

Quelle:
Johann Nikolaus Götz: Gedichte. Stuttgart 1893, S. 29-30,33-39.
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