Catulls 3[60] tes Sinngedicht

Weinet, Charitinnen, weinet Amors,

Alles, was man artig nennet, weine.

Meines Mädchens einziges Vergnügen,[60]

Meines Mädchens Sperling ist gestorben.

Den es mehr, als seine Augen, liebte;

Denn er war so allerliebst und artig,

So verständig, und so voll Empfindung,

Daß er minder nicht sein liebes Mädchen

Als das Mädchen seine Mutter kannte.

Nie bewegt er sich von ihrem Schoose:

Sondern hüpfte hie, und da, und dorten

Auf dem Schoose munter auf und nieder,

Ihr nur piepend, ihr alleine schmeichelnd.

Ach! izt wandert er die dunkle Strase,

Die man ewig nicht zurücke wandert.

Drum verfluch ich, Schatten des Cocytus,

Die ihr, was nur artig ist, verschlinget,

Drum verfluch ich euch, dann ihr entführtet,

Dann ihr stahlt mir ihn, den schönsten Sperling.

O verruchte That, o armer Sperling,

Durch dich schwellen, ach! von stätem Weinen,

Durch dich schwellen itzund, und verderben

Meines holden Mädchens holde Augen.

Quelle:
Johann Nikolaus Götz: Gedichte. Stuttgart 1893, S. 60-61.
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