An Herrn E.C. Weise

[5] Was hör ich hier vor Symphonien?

Und welche freudenvolle Schaar

Liegt auf dem Antlitz und den Knien

Vor dem geheiligten Altar?

Welch eine Gottheit läst sich spüren?

Die Steine scheinen sich zu rühren,

Und jener weisse Marmor haucht.

O dreymal seeliges Gesichte!

Gott zeiget mir in seinem Lichte,

Wen er zu seinem Werckzeug braucht.


O Dichtkunst, Freundin frommer Thronen,

Was schwebt dort für ein edles Bild?

Der Schutzgeist meiner Vangionen

In einen goldnen Duft verhüllt.

Doch wen von seinen klugen Söhnen

Scheint seine rechte Hand zu krönen?

Welch ist sein Namen und sein Lob?[5]

Ich trag ihn über Feld und Hügel,

So hoch, als ehmahls Pindars Flügel

Den königlichen Kämpfer hob.


Erkenn ihn hier an dem Geleite,

Das sich beschäftigt um ihn dreht.

Die Klugheit geht zur rechten Seite,

Zur lincken Huld und Majestät;

Und die Entschlossenheit und Treue

Bereiten in der schönsten Reihe

Den Weg vor ihm zu unserm Wohl.

Die sinds, die ihn so schön formiret;

Sein Hertze, durch sie angeführet,

Ist ihrer edlen Lehren voll.


Er weis in Winden und in Stürmen,

Wann andre von dem Steuer fliehn,

Das Schif des Staates zu beschirmen,

Und führt es durch die Syrten hin.

Erschaffen, Bürger zu erhalten,

Und fähig, Scepter zu verwalten,

Weis er von keiner Niedrigkeit.

Wann ihn die Bürger zürnen hören,

O Gott! wie fliesen ihre Zähren?

Wie quillt ihr Hertz von bitterm Leyd?


Als ehmals auf Pangäus Höhen

Des Orpheus krumme Leyer klang,

Konnt man an Fels und Flüssen sehen,

Wie sie die Macht der Thonkunst zwang;

Da sah man auf der Ceder Spitzen,

Den Adler still und lauschend sitzen,

Der Lieder Reitz berauschte ihn;

Er senckte nickend sein Gefieder,

Und über seine Augenlieder

Warf sich des Schlafes Wolcke hin:
[6]

So zwingt die Kraft von seinem Gründen

Der Hörer wiederspenstig Hertz.

Er spricht; sein Wort muß überwinden.

Er tröstet, und es fleucht der Schmertz;

Durch seine hohe Art zu dencken,

Wust er auch Könige zu lencken,

Ihm und den Bürgern hold zu seyn.

O Dichtkunst! kan ich mich betrügen?

Wem fällt nicht bey so klaren Zügen

Das Bild des grosen Weisen ein?


Was schimmert aber dort von weiten?

Mein blöder Blick verliert sich gantz.

Ich seh das Gold der künstgen Zeiten,

Ich sehe Worms in neuem Glantz.

Die Bürger lieben sanfte Sitten,

Der Feind im Hertzen wird bestritten,

Der Tugend Mattigkeit erfrischt;

Und Kinder hören auf zu stöhnen,

Weil Weise die gerechten Thränen

Von ihren zarten Wangen wischt.


Er schaffet, daß in unsern Thoren

Der Friede, selbst zur Kriegszeit thront;

Daß Ueberflus, den wir verlohren,

Aufs neu in unsern Kammern wohnt.

Es blühen Wingert, Feld und Auen,

Die Axt erschallt, man höret bauen,

Des Künstlers scharfer Meisel klingt,

Und auf des Rheines klaren Tiefen

Schwimmt ein belebter Wald von Schiffen,

Der uns der Fremden Reichthum bringt.


O Weise, Vater und Vergnügen,

Von Gottes Huld unschätzbar Pfand,

Las dorthin deine Blicke fliegen

In der entbundnen Geister Land.[7]

Schau da, was künftig ist, im Bilde;

Wem lacht dies gläntzende Gefilde,

Dies seelge Reich voll Herrlichkeit?

Wem sind doch diese Rosenfelder,

Die Blumenflur und Myrtenwälder,

Durch Gottes Finger zubereit?


Nicht Königen, der Wohllust Knechten;

Nicht Herrschern durch den Geitz entzündt;

Nein; nur den Schatten der Gerechten,

Die Väter ihres Volckes sind.

Da herrscht itzt die vollkommne Seele,

Um deren Abschied ich mich quäle,

Erhaben über Tod und Zeit;

Lern, Weise, lern ihr ähnlich werden;

Die Tugend lohnt auf dieser Erden;

Die Tugend lohnt in Ewigkeit.

Quelle:
Johann Nikolaus Götz: Gedichte. Stuttgart 1893, S. 5-8.
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