Der Franke in Egypten

[81] Wie der Unmuth mir den Busen drücket,

Wie das Glück mich hämisch lächelnd flieht.

Ist denn Nichts was meine Seele stillet?

Nichts, was dieses Lebens bange Leere füllet? –

Dieses Sehnen, wähnt' ich, sucht die Vorwelt,

Die Heroenzeit ersehnt mein kranker Geist.

An vergang'ner Größe will dies Herz sich heben,

Und so eilt' ich deinem Strande zu,

Du der Vorwelt heiligste Ruine,

Fabelhaftes Land, Egypten du!

Ha! da wähnt' ich aller Lasten mich entladen

Als der Heimath Gränze ich einteilet war.

Träumend wallt' ich mit der Vorzeit Schatten,

Doch bald fühlt' ich, daß ich unter Todten sey,

Neu bewegte sich in mir das Leben,[81]

Antwort konnte mir das Grab nicht geben. –

Ins Gewühl der Schlachten,

Warf ich durstig mich,

Aber Ruhm und Schlachten,

Ließen traurig mich:

Der Lorbeer der die Stirne schmückt,

Er ists nicht immer der beglückt.

Da reichte mir die Wissenschaft die Hand,

Und folgsam gieng ich nun an ihrer Seite,

Ich stieg hinab in Pyramiden Nacht,

Ich mas des Möris See, des alten Memphis Größe,

Und all die Herrlichkeit, die sonst mein Herz geschwellt,

Sie reicht dem Durstigen nur der Erkenntniß Becher.

Ich dachte, forschte nur, vergaß daß ich empfand. –

Doch ach! die alte Sehnsucht ist erwacht,

Aufs neue fühl ich suchend ihre Macht,

Was geb ich ihr? Wohin soll ich mich stürzen?

Was wird des Lebens lange Oede würzen?

Ha! Sieh, ein Mädchen! wie voll Anmuth,

Wie lieblich hold erscheint sie mir!

Soll ich dem Zuge widerstehen?

Doch nein! ich rede kühn zu ihr.

Ist dies der Weg der Pyramiden?

O, schönes Mädchen! sag es mir!


Mädchen.


Du bist nicht auf dem Weg der Pyramiden,

O Fremdling! doch ich zeig ihn dir.


[82] Franke.


Brennend sengt die heisse Mittagssonne,

Jede Blume neigt das schöne Haupt,

Aber du der Blumen Schönste hebest,

Jung, und frisch, das braungelockte Haupt.


Mädchen.


Willst du in des Vaters Hütte dich erkühlen

Komm, es nimmt der Greis dich gerne auf.


Franke.


Welchen Namen trägst du schönes Mädchen?

Und dein Vater; sprich, wo wohnet der?


Mädchen.


Lastrata heiß ich; und mein guter Vater

Er wohnt mit mir im kleinen Palmenthal,

Doch nicht des Thales angenehme Kühle,

Nicht Bäche Murmeln, nicht der Sonne Kreisen

Erfreuet meinen guten Vater mehr.


Franke.


Wie! freut dem Vater nicht des Stromes Quellen,

Der Palmen lindes Frühlingssäuseln nicht?

Ich faß es; doch, wie es ein Gram mag geben

Der deiner Tröstung möchte widerstreben,

Das nur, Lastrata, faß ich nicht.


Mädchen.


Italien ist das Vaterland des Greisen,

Und vieles Unglück bracht ihn nur hierher.[83]

Mit sehnsuchtsvollem Blick schaut er am Mittelmeere

Hinüber in das vielgeliebte Land.

Und seufzend sehn' auch ich hinüber

Nach jenen Blüthenreichen Küsten mich.

Erkranket ruht mein Geist auf jener blauen Ferne,

Und schöne Träume tragen mich dahin.

Sag', wogt nicht schöner dort der Strom des Lebens?

Sehnt dort die kranke Brust sich auch vergebens?


Franke.


Mädchen! ach! von gleichem Wunsch betrogen,

Wähnt' ich: schönes berg' die Ferne nur,

Doch umsonst durchsegelt' ich die Wogen,

Hat auch diese Ahndung mir gelogen

Die du, Mädchen, jetzt in mir erweckt. –


Mädchen.


Fremdling! kannst du diese Sehnsucht deuten?

Fühlst du dieses unbestimmte Leiden?

Dieses Wünschen ohne Wunsch?


Franke.


Ja ich fühl ein Sehnen, fühl ein Leiden.

Doch jetzt kann ich diese Wünsche deuten,

Und ich weiß, was dieses Streben will.

Nicht an fernen Ufern, nicht in Schlachten!

Wissenschaften! nicht an eurer Hand,

Nicht im bunten Land der Phantasien!

Wohnt des durst'gen Herzens Sättigung.

Liebe muß dem müden Pilger winken,[84]

Myrthen keimen in dem Lorbeerkranz,

Liebe muß zu Heldenschatten führen,

Muß uns reden aus der Geisterwelt. –

Mächt'ger Strom! ich fühlte deine Wogen,

Unbewußt fühlt' ich mich hingezogen,

Nur wohin! wohin! das wußt' ich nicht.

Wohl mir! dich und mich hab' ich gefunden.

Liebe hat dem Chaos sich entwunden.[85]

Quelle:
Karoline von Günderrode: Gesammelte Werke. Band 1–3, Band 1, Berlin-Wilmersdorf 1920–1922, S. 81-86.
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