Der Traurende und die Elfen

[67] Zum Grab der Trauten schleicht der Knabe,

Ihm ist das Herz so bang und schwer;

Da sinkt die dunkle Nacht hernieder

Und bleiche Geister geh'n umher;

Des Abends feuchte Nebel thauen,

Der Nachtwind wühlt in seinem Haar,

Das Alles wird er nicht gewahr.
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In Träumen ist er ganz verlohren,

Er merket nicht der Stunden Gang;

Da wekt ihn aus dem dumpfen Schlummer

Musik und froher Chorgesang,

Er blicket auf: und schaut den Reigen

Der Elfen, deren munt'rer Tanz

Sich schlingt um frischer Gräber Kranz.


Und sieh! ihm naht der Elfen Schönste,

Und spricht: »was trauerst du so sehr?

Komm! ist dein Mädchen dir gestorben?

Vergiß sie! komm zum Tanze her.

Frei sind wir Elfen, ohne Sorgen,

Leicht wie der Sinn ist unser Fuß,

Und froh und leicht sind Lieb und Kuß.


O zögre nicht! nur wenig Stunden

So moderst du, nur kurze Zeit

So welket Alles, was jetzt blühet,

Drum komm! entsag dem schweren Leid'. –

Wild springt er auf zum raschen Tanze

Und über seiner Braut Gebein

Schlingt sich der lust'ge Elfenreihn.


Er tanzt, vergisset die Geliebte,

Leicht, wie der Elfen, wird sein Sinn

Entbunden aller Erdensorgen

Schwingt er sich über Wolken hin.

Er sieht Geschlechter kommen, sterben,

Kann Alles froh und lustig sehn

Der Dinge Blühen und Vergehn.
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Quelle:
Karoline von Günderrode: Gesammelte Werke. Band 1–3, Band 1, Berlin-Wilmersdorf 1920–1922, S. 67-69.
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