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[284] Evangel. Matth. XIV. v. 1. etc.
Text
Herodes zog des Bruders Weib
Aus Geilheit an die Seite;
Johannes aber, deßen Mund
Die Warheit nirgends scheute,
Verwarf ihm frey und ins Gesicht
Aus einem guten Triebe
Die hier mit der Herodias
Geschloßne Buhlerliebe.
Der Vierfürst hörte sich zum Zorn
Ein solch Geseze schärfen
Und lies den Täufer statt des Dancks
Davor in Kercker werfen.
Des Volckes wegen kont er ihn
Nicht leicht so plözlich tödten;
Denn dieses hielt Johannem hoch
Und macht ihn zum Propheten.
Indeß fiel ein Geburthstag ein.
Der Fürst hielt Schmaus und Gäste,
Die Tochter seiner Buhlin kam
Und tanzte zu dem Feste.
Herodes, dem das Kind gefiel,
Erlaubt ihm zu begehren
Und schwur ihm, auch das Herrlichste
Und Höchste zu gewähren.
Da fing bey der Herodias
Die Rachlust an zu lodern,
Die Tochter must auf ihren Rath
Das Haupt Johannis fodern.
Dies gieng dem König etwas nah;[285]
Doch um des Eides willen
Und derer, die ihn angehört,
Must er die Bitt erfüllen.
Man schickte nach dem Kercker hin,
Johannes lies das Leben,
Der Tochter aber ward sogleich
Sein blutig Haupt gegeben.
Sie trug es in der Schüßel fort,
Der Mutter darzubringen.
So pflegt die Warheit insgemein,
Sich um den Hals zu singen.
Lehre
Das hat die Warheit von der Welt
Und ihren bösen Kindern:
Sie sucht wohl stets durch Lust und Ernst
Des Höchsten Zorn zu mindern,
Sie predigt, straft und reißt mit Müh
Die Boßheit vom Verderben
Und muß davor zur Danckbarkeit
Noch oft im Kercker sterben.
Der Wollust geile Schwelgerey
Hält wenig Freudenfeste,
Woran sie sich nicht insgemein
Mit Unschuldsblute mäste.
Ihr Tanzen ist der Frommen Fall,
Und ihre wilde Freude
Dient denen, die in Christo sind,
Zu lauter Qual und Leide.
Seht, Heuchler, die ihr Gottes Geist
Durch Menschenfurcht betrübet
Und Fürst und Volck oft ärger scheut
Als Gott und Warheit liebet,[286]
Das Haupt Johannis predigt euch
Sogar noch aus dem Grabe,
Was vor Gewisheit und Vertraun
Ein treuer Märtrer habe.
Sprecht, wenn es Gottes Ehre gilt,
Mit froh- und tapfren Muthe;
Versiegelt, kommt es auch dazu,
Dies, was ihr glaubt, mit Blute,
Und wist, daß eben dieses Schwerd,
Das Hals und Bein durchstreichet,
Euch einst den Rock der Herrligkeit
Vor solchen Purpur reichet.
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