[71] Mein Gott, ich kenne deine Liebe,
Du ziehst mich, doch ich folge nicht.
Ach hilf doch nur dem schwachen Triebe,
Der mir nur stets zuwider spricht,
Und mehre das getreue Sehnen,
Das dir mit Thränen
Gewis dein Vaterherze bricht.
Ich bin verdammt, ich bin ein Sünder;
Dies weis ich, doch erbarme dich!
Du rufest die verlaufnen Kinder,
Du hörest, komm und rette mich!
Ach rette die bedrängte Seele;
Die Marterhöhle
Mehrt Creuz und Jammer innerlich.
Du bist ein Arzt und hilfst dem Krancken:
Mein Aussaz greift schon ziemlich weit.
Der Glaube stärcke die Gedancken,
Worein der Satan Zweifel streut.
Doch will ich hier mit Glauben schweigen,
Und du wirst zeigen:
Es würckt die Reu zur Seeligkeit.
Der Glaube würcket durch die Wercke,
Allein die Wercke helfen nichts:
Mein Glaube kommt von deiner Stärcke,
Du bist der Vater alles Lichts,
Du wirst mich auch bey finstern Zeiten
Zur Tugend leiten;
Sprich nur ein Wort, ach, so geschichts.
Ach, so geschichts, daß ich erkenne,
Was dein Gesez und Wort befiehlt;[72]
Denn ob ich gleich vor Liebe brenne,
So ist doch alles blind gezielt,
Wenn nicht mein eußerstes Verlangen,
Dich zu umfangen,
Schon auf der Welt den Himmel fühlt.
Ich sterbe so, wie alle müßen;
Es ist der Tod der Sünden Sold.
Verklagt mich endlich mein Gewißen,
Genug, mein Heiland ist mir hold.
Ich wälze mich in seinem Blute
Mit freyem Muthe;
Schimpft, Welt und Satan, wie ihr wollt.
Es kommt ein Tag, der alles richtet;
Mein Heiland richtet, klagt mich an!
Der Feind, so mich und alle sichtet,
Hat doch mit allen nichts gethan,
Mit allen, welchen seine Liebe
Durch heilge Triebe
Die Eitelkeit verbittern kan.
Ich weis nicht, wenn und wo ich sterbe,
Doch sterb ich allemahl vergnügt,
Sofern ich nur den Trost erwerbe,
Daß dir mein Herz im Schooße liegt.
Erdrücke mich in deinen Armen,
Denn dein Erbarmen
Macht, daß mein Herz die Noth besiegt.
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