An seine Schöne

[46] Was vor Rosen, schöner Engel,

Laufen durch dein Angesicht,

Da mein Vorwiz einen Stengel

Von den reinen Lilgen bricht,

Die in deinem Wollustgarthen

Auf die Hand des Bräutgams warthen?


Doch warum würckt mein Erkühnen

Einen solchen Streit in dir?

Scham und Zorn verwirrt die Mienen

Deiner angebohrnen Zier,

Und ich kan aus deinen Sternen

Meines Unglücks Zukunft lernen.


Aber, ach, verdient mein Scherzen

Wohl dergleichen Tyranney,

Daß mein Bildnüß deinem Herzen

Ewiglich ein Greuel sey?

Nein, ich will es noch nicht hofen,

Daß mein Argwohn eingetrofen.


Schau nur selbst, die zarten Brüste

Blicken mich so liebreich an,

Daß ich nach der Milch gelüste

Und mich kaum enthalten kan,

Bey so wohlbestellten Sachen

Dich noch einmahl roth zu machen.


Hemme, schönes Kind, dein Schelten

Und vergieb die Frevelthat;

Las auch nicht den Mund entgelten,

Was die Hand verbrochen hat!

Ich will, einen Grif zu büßen,

Dich zur Strafe zehnmal küßen.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 46-47.
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