Der verliebte Kummer

[78] Die Liebe weckt an diesem Morgen

Den Kummer der verliebten Sorgen

Mit mir gar zeitig wieder auf;

Die Seufzer wachen in dem Munde,

Die Thränen suchen aus dem Grunde

Des Herzens ihren alten Lauf.


Die Schmiedin meiner süßen Kette

Zieht meine Faulheit aus dem Bette,

In welchem sie der Schlaf noch wiegt.

Ihr Auge schläft, ich aber weine,

Die Einsamkeit sizt auf dem Steine,

Der mir an meinem Herzen liegt.


Ach, denck ich, bringt dies nahe Scheiden

Von ihrer Brust ein solches Leiden,

Da nur ein Zimmer uns zertrennt,

Wer wird doch meine Wunden heilen,

Wenn Land und Luft uns einmahl theilen

Und Schweidniz mir kein Brodt mehr gönnt?


Die Zähren mühn sich, meinen Klagen

Mit stummer Sprache nachzusagen,

Allein die Angst vertrocknet sie.

Ach, wem vertrau ich diesen Jammer?

Der freyen Luft, der tauben Kammer,

Und beides ist vergebne Müh.


Die Redligkeit von deinem Herzen,

Getreues Kind, bringt meinen Schmerzen

Die Heimligkeit der schweren Noth;

Mich deucht, die Last wird halb so leichte,

So bald ich dir den Kummer beichte,

Der mir den lezten Abschied droht.
[79]

Schnidt ich mein Elend in die Rinden,

Erzehlt ich es den sanften Winden,

So seh ich überall Gefahr:

Dort kan der Vorwiz scheeler Augen

Bald Nahrung zu der Misgunst sauge

Hier macht es Echo ofenbahr.


Von dir weis ich, verschwiegne Seele,

Daß deine Zunge stets verheele,

Was dir ein guter Freund vertraut;

Ich suche Trost, las mein Begehren

Der Unschuld diesen Wuntsch gewähren

Der jezt auf deine Großmuth baut.


Erfülle, was ich such und glaube,

Erbarme dich der flüchtgen Taube,

Die deine Schoos zur Freystatt wehlt;

Sie kümmert sich um ihren Gatten

Und sucht in deiner Bäume Schatten

Die Ruh, so ihr zu Hause fehlt.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 78-80.
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