Die schöne Grausamkeit

[280] Aria.


Hat die Schönheit kein Erbarmen,

O so hab es doch der Tod!

Liebe, las mich Gunst erwerben

Oder noch mit Unschuld sterben,

Eh mein Kind in fremden Armen

Meiner Angst den Selbstmord droht.

Da Capo.


Recitat.


So lache nur, verstockter Sinn,

So spotte nur, du schöne Neiderin,

Und mache dir durch meine Thränen

Das Maas der Sünden voll!

Es wird der reine Liebeszoll

Ein Wucher deiner Strafen werden.

Genug geseufzt, genug, genug geplagt!

Die Ruh, so mir dein Schoos versagt,

Erhalt ich in der Erden.

Wer weis, wie bald der Tag erscheint,

An welchem deine Reu

Die Grausamkeit nachdrücklich rächen müße.

Der Fall verfolgt die Tyranney.

Hier ist der lezte Mund voll Küße,

Hier nimm sie durch den Westwind ein,

Sie werden heiter seyn

Und nächtlich um dein Lager schwermen.

Alsdenn so hilft dich gar kein Lermen,

Alsdenn wird auch dein Flehn

Auf meinen Grabesstufen

Den treuen Geist vergebens wiederrufen;

Und läst er sich ja wieder sehn,

So soll es anders nicht

Als durch ein Traumgesicht

Und blos zu deiner Qual geschehn.


[281] Aria.


So sincket, ihr verschmähten Glieder,

Schlagt Anionens Herze weich!

So sinckt und schlagt ihr das Gewißen!

Sie wird zu spät erfahren müßen,

Es gäb ihr Amors großes Reich

Dergleichen treuen Knecht nicht wieder.

Da Capo.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 280-282.
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