Am Ostersamstag

[194] 1864.


Am Ostersamstag war's, da schritt ich still

Ins Land hinaus; zu meinen Füßen schoß

Der Isar grüne Woge strudelnd hin,

Und fern im Dufte lag das Hochgebirg'.

Und wie vom halbentwölkten Himmel her

Ein lindes Säuseln kam und über mir

Die erste Lerch' unsichtbar wirbelnd stieg:

Da schmolz in meiner Brust das stumme Leid,

Und feuchten Auges warf ich mich ins Gras

Und dacht' an unsern teuren König Max.


Und sieh, mir war's, er stände vor mir da,

Lebendig wieder, mit dem milden Blick

Und doch verklärt von ernster Majestät:

Der Friedensfürst, den mehr als jedes Wort

Das freie Glück des Stamms, den er beherrscht,

Die frohe Blüte seines Reiches preist;

Der stille Überwinder, der sich selbst

Besiegt, um seinem Volk genugzutun,

Und jeder Willkür, jeder Leidenschaft

Den Zügel des Gewissens angelegt;

Der echte Sohn vom Stamme Wittelsbach,

Getreu, beharrlich, heil'gen Willens voll,

Der mit dem letzten Atemzuge noch

Einstand für deutsches Recht, und dem der Zorn

Um deutsche Schmach den Todespfeil geschärft,[194]

Das war der König! Bayern weint um ihn,

Wie an des Vaters Gruft die Tochter weint,

Und Deutschland legt den Kranz auf seinen Sarg.


Und andre Bilder stiegen vor mir auf.

In seiner Hofburg sah ich ihn, umringt

Vom Kreise seiner Lieben, frohgelöst

Aufatmen von der Last des Herrscheramts,

Ein fürstlich Vorbild reiner Menschlichkeit;

Und durchs Gewühl der Gassen, die sein Ruf

In reichem Schmuck erstehn hieß, folgt' ich ihm

Und sah ihn wandeln unter seinem Volk,

Leutselig, liebreich, jedes fremden Glücks

Sich miterfreuend, hülfreich jeder Not.

Denn köstlicher als seine Krone war

Das Herz, das unter seinem Purpur schlug,

Das lautre, stets sich selbst getreue Herz,

Aus dem auf alles, was er sprach und schuf,

Ein Sonnenstrahl der reinsten Güte fiel.

Das war's, was ihm die Seelen unterwarf;

Und, wenn er grüßend durch die Menge schritt

Und jedes Auge glänzte, das ihn sah,

Wer spürt' es nicht, daß noch ein schöner Band,

Als angestammter Treue, hier sich wob

Aus Dankbarkeit, Hingebung und Vertraun!


Und jener trauten Stunden dacht' ich dann

Im hohen, bilderdunkeln Teppichsaal,

Wo er, mit ernsten Männern im Gespräch,

Das stillgeschäft'ge Walten der Natur,

Der Vorzeit Bücher sich enträtseln ließ.

Denn eine nimmermüde Sehnsucht zog

Ihn zu des Lebens Tiefen. Nicht begnügt

Mit der Erscheinung, sucht' er ihr Gesetz,

Und jede neuerkannte Wahrheit galt

Ihm eine Stufe, die er sich erkämpft.

Und oft, wenn vor dem wissensdurst'gen Geist

Ein Strahl ihm aufging jener Gotteskraft,

Der ewig Einen, die im leisen Blühn[195]

Der Pflanze wie im Auf- und Niedergang

Der Völker und der Zeiten sich enthüllt:

Da flog ein Leuchten über seine Stirn,

Und höher schlug sein Herz, als wär' er selbst

Der Weisheit Jünger, nicht ihr Vogt und Hort.


Doch liebt' er's, wenn um solcher Stunden Ernst

Erheiternd sich der Kranz des Schönen flocht,

Und wie er selbst in jungen Jahren wohl

Geprüft die Saiten, bis des Szepters Pflicht

Ungern das holde Spiel ihn meiden ließ,

Verlangt' ihn nach der Muse Gastgeschenk.

Denn göttlichen Geschlecht noch ehrt' er sie,

Und in der Forscher strengen Kreis entbot

Er, die ihr dienten, daß sie mit Gesang

Des Busens Wellenschlag ihm schwichteten.


Auch mir beschied sein königlicher Ruf

Die neue Heimat. Hold gewährt' er mir,

Wonach des Dichters Herz zumeist begehrt:

Sorglose Freiheit und ein freundlich Ohr,

Das seinen Weisen lauscht'. Und was ein Gott

In hohen Stunden mächtiger beschwingt

Mir auf die Lippen legte, wurde sein.

Ach, würd'ger einst die vollgereifte Frucht,

Die unterm Herbstlaub meines Lebens schwillt,

Ihm darzubringen hofft' ich, und dafern

Ein Kranz mir je noch blühte, sollt' er ihm

Zuerst gehören, der ihn mild gepflegt –

Da riß ein allzu früh Geschick ihn fort

Zu jenen Sphären, die kein sterblich Lied

Erreicht, und nichts als Tränen heißen Danks

Für den geliebten Toten hab' ich heut.


Den Toten? Nein! Ob auch das Gruftgewölb'

Den schmerzensmüden Leib empfing: er lebt!

Nicht in den Blättern der Geschichte bloß,

Nicht bloß im Mund des Liedes noch im Erz,

Das fromme Treue dankbar ihm erhöht;[196]

In seines Landes Segen und Gedeihn,

In seines Volks Gesittung lebt er fort,

Er lebt in unsern Herzen, lebt im Sohn,

Der, was er anhub, zu vollenden ringt;

Und daß er also fortlebt, sei uns Trost

In unserm Leid. Denn seins verging in Glanz.


So dacht' ich, und erleichtert hob sich mir

Die schwerbeklemmte Brust. Ich sprang empor

Und sah zum Himmel, sah den Strom hinab;

Da brach die Sonne leuchtend durchs Gewölk.

Daß jede Well', in ihren Strahl getaucht,

Der Hoffnung goldnes Bild zu tragen schien,

Und durch das Tal, im Wind herwogend, kam

Der Osterglocken Auferstehungsruf.[197]

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 194-198.
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