An der Mosel

[247] August 1870.


Wo der Mosel dunkle Wellen

Um ihr felsig Ufer schwellen,

Schweigt zum drittenmal die Schlacht,

Und die feuchten Winde tragen

Lobgesang und Totenklagen

Fernverhallend durch die Nacht.


Unsre Siegesbanner wogen,

Doch die Bahn, die sie durchflogen,

Ist von teurem Blute rot;

Wo der Eisenregen sprühte,

Sank in Garben, ach, die Blüte

Unsrer Jugend in den Tod.


O wie viel verwaiste Herzen

Nennen euch hinfort mit Schmerzen,

Mars-la-Tour und Gravelotte!

Bleiche Fraun, zum Tod bekümmert,

Bräute, deren Glück zertrümmert,

Greise Mütter, tröst' euch Gott!


Aber euch, ihr treuen Toten,

Sei der Brüder Schwur entboten,

Zorn'ge Tränen rinnen drein:

Nimmer soll, das ihr vergossen,

Euer Blut umsonst geflossen,

Nimmer soll's vergessen sein!


Eures heil'gen Willens Erben

Schwören wir auf Sieg und Sterben

Treu zu stehn in Wacht und Schlacht:

Keiner soll der Rast gedenken

Noch das Schwert zur Scheide senken,

Bis das große Werk vollbracht;


Bis des Erbfeinds Trutz vernichtet,

Bis das Bollwerk aufgerichtet,

Das die Zukunft schirmt der Welt,[248]

Und mit rauschendem Gefieder

Über euren Gräbern wieder

Deutschlands Aar die Grenzwacht hält.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 247-249.
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