Frühlingslied

[229] 1867.


Nun vergiß der Klagelieder

Und erhebe dein Gemüt!

Endlich steigt der Lenz hernieder,

Der für dich, mein Volk, erblüht.


An der tausendjähr'gen Eiche

Drängt sich junger Knospen Schwall,

Ein prophetisch Lied vom Reiche

Schmettert drein die Nachtigall.


Sieh, und dichter stets, getroster

Bricht hervor das lichte Grün;

Nur gen Süd ein starr bemooster

Ast noch zaudert mitzublühn.


Kommt herab denn, Himmelskräfte,

Maientau und Sonnenschein!

Treibt den Strom der Lebenssäfte

Bis ins letzte Reis hinein!


Steht verjüngt vom Frühlingsbrausen

Erst der ganze Baum in Blust,

Wird der Freiheit Aar drin hausen,

Deutsches Volk, zu deiner Lust.


Eines hast du schon errungen,

Daß die Welt, die dich erkennt,

Ehrfurchtsvoll in allen Zungen

Deinen Namen wieder nennt.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 229.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Heroldsrufe
Heroldsrufe: Aeltere Und Neuere Zeitgedichte (German Edition)