Türmerlied

[127] Wachet auf! ruft euch die Stimme

Des Wächters von der hohen Zinne,

Wach' auf, du weites deutsches Land!

Die ihr an der Donau hauset,

Und wo der Rhein durch Felsen brauset,

Und wo sich türmt der Düne Sand!

Habt Wacht am Heimatsherd,

In treuer Hand das Schwert,

Jede Stunde!

Zu scharfem Streit

Macht euch bereit!

Der Tag des Kampfes ist nicht weit.[127]


Hört ihr's dumpf im Osten klingen?

Er möcht' euch gar zu gern verschlingen,

Der Geier, der nach Beute kreist.

Hört im Westen ihr die Schlange?

Sie möchte mit Sirenensange

Vergiften euch den frommen Geist.

Schon naht des Geiers Flug,

Schon birgt die Schlange klug

Sich zum Sprunge;

Drum haltet Wacht

Um Mitternacht

Und wetzt die Schwerter für die Schlacht!


Reiniget euch in Gebeten,

Auf daß ihr vor den Herrn könnt treten,

Wenn er um euer Werk euch frägt;

Keusch im Lieben, fest im Glauben,

Laßt euch den treuen Mut nicht rauben,

Seid einig, da die Stunde schlägt!

Das Kreuz sei eure Zier,

Eur Helmbusch und Panier

In den Schlachten.

Wer in dem Feld

Zu Gott sich hält,

Der hat allein sich wohl gestellt.


Sieh herab vom Himmel droben,

Herr, den der Engel Zungen loben,

Sei gnädig diesem deutschen Land!

Donnernd aus der Feuerwolke

Sprich zu den Fürsten, sprich zum Volke

Und lehr' uns stark sein Hand in Hand!

Sei du uns Fels und Burg,

Du führst uns wohl hindurch.

Halleluja!

Denn dein ist heut

Und alle Zeit

Das Reich, die Kraft, die Herrlichkeit.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 127-128.
Lizenz:
Kategorien: