Der Zigeunerbube im Norden

[27] Fern im Süd das schöne Spanien,

Spanien ist mein Heimatland,

Wo die schattigen Kastanien

Rauschen an des Ebro Strand,

Wo die Mandeln rötlich blühen,

Wo die heiße Traube winkt,

Und die Rosen schöner glühen,

Und das Mondlicht goldner blinkt.


Und nun wandr' ich mit der Laute

Traurig hier von Haus zu Haus,

Doch kein helles Auge schaute

Freundlich noch nach mir heraus.

Spärlich reicht man mir die Gaben,

Mürrisch heißet man mich gehn;

Ach, den armen braunen Knaben

Will kein einziger verstehn.


Dieser Nebel drückt mich nieder,

Der die Sonne mir entfernt,

Und die alten lust'gen Lieder

Hab' ich alle fast verlernt.[27]

Immer in die Melodien

Schleicht der eine Klang sich ein:

»In die Heimat möcht' ich ziehen,

In das Land voll Sonnenschein!«


Als beim letzten Erntefeste

Man den großen Reigen hielt,

Hab' ich jüngst das allerbeste

Meiner Lieder aufgespielt.

Doch wie sich die Paare schwangen

In der Abendsonne Gold,

Sind auf meine dunkeln Wangen

Heiße Tränen hingerollt.


Ach, ich dachte bei dem Tanze

An des Vaterlandes Lust,

Wo im duft'gen Mondenglanze

Freier atmet jede Brust,

Wo sich bei der Zither Tönen

Jeder Fuß beflügelt schwingt,

Und der Knabe mit der Schönen

Glühend den Fandango schlingt.


Nein! Des Herzens sehnend Schlagen

Länger halt' ich's nicht zurück;

Will ja jeder Lust entsagen,

Laßt mir nur der Heimat Glück!

Fort zum Süden! Fort nach Spanien,

In das Land voll Sonnenschein!

Unterm Schatten der Kastanien

Muß ich einst begraben sein.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 27-28.
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