Eros, der Schenk

[89] Ich wähle mir den Liebesgott zum Schenken,

Er füllt den Becher mir aus Zauberkrügen

Und weiß das Herz in seliges Genügen,

Den Sinn in süßen Taumel zu versenken.


Auch lehrt er mich, zu holdem Angedenken

Den Wein zu schlürfen in bedächt'gen Zügen,

Zu zartem Gruße Reim in Reim zu fügen

Und sanft der Musen weißes Roß zu lenken.


Und wenn des Abends Schatten sich verbreiten,

Und müd ich ruhe von des Tags Genusse,

Erregt er sacht der Zither goldne Saiten.


Da muß im Schlaf gleich Wimpeln auf dem Flusse

Manch holdes Traumbild mir vorübergleiten,

Bis mich der Morgen weckt mit ros'gem Kusse.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 89.
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