Letzte Sühne

[263] Meiner Jugend Liebe du,

Bild voll Lust und Schmerzen,

Gehst du wieder auf in Ruh'

Über meinem Herzen?[263]


Ach, nicht ewig kann die Brust

Schuld um Schuld ermessen,

Eins nur ist mir noch bewußt:

Daß ich dich besessen.


Die mit ihrem finstern Wahn

Mein Gemüt verschattet,

Jeder Groll ist abgetan,

Jeder Gram bestattet.


Lächelnd, wie ich einst dich sah,

Da mein Herz erglühte,

Stehst du wieder vor mir da

In der Anmut Blüte.


Und so schließ' ich schön und hoch,

Sonder Schuld und Fehle,

Mit dem Blick der Liebe noch

Dich in meine Seele.


Nie mehr will ich nur von fern

Deinem Pfad begegnen;

Doch als Jugendmorgenstern

Soll dies Bild mich segnen.


Und am Ende meiner Bahn,

Hoff' ich, soll voll Milde

Mir der Todesengel nahn,

Ach, in diesem Bilde.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 263-264.
Lizenz:
Kategorien: