Mythus vom Dampf

[10] Es ruht auf klarem Perlenthrone

Die Meerfei im Kristallpalast,

Der Feuergeist mit güldner Krone

Durchschweift die Lüfte sonder Rast;

Sie meiden sich mit finsterm Grollen,

Sie stören, was des andern ist;

So lang des Erdballs Achsen rollen,

Währt unversöhnt ihr grimmer Zwist.


Da fängt in erzgetriebnen Schranken

Der Mensch, der Schöpfung Herr, die zwei,

Daß dienstbar seines Haupts Gedanken

Ihr ungestümes Walten sei.

Er bändigt ihren Grimm gelassen,

Er gibt dem dumpfen Trieb das Ziel;

Ins Brautbett zwingt er, die sich hassen,

Zu unerhörtem Minnespiel.


Und sieh, aus ihrem dunkeln Bunde,

Aus Lieb' und Abscheu, Brunst und Kampf

Erwächst in mitternächt'ger Stunde

Das starke Riesenkind, der Dampf.

Mit wildem Tosen hochgestaltig

Entspringt er aus der Wiege Haft,

Durch all sein Wesen gärt gewaltig

Des Vaters Zorn, der Mutter Kraft.[10]


Er fühlt's in seinen Adern sieden,

Ihm dünkt kein Werk zu schwer, zu groß,

Doch ach, es ward ihm nicht beschieden

Ein Feld des Ruhms, ein Heldenlos.

Nicht darf er in die Wolken greifen,

Nicht spielen mit des Blitzes Loh'n,

In Lüften nicht die Welt durchschweifen,

Ein freigeborner Königssohn.


Nein, wo der Mensch von Eisenschienen

Sein unabsehbar Netz gespannt,

Da muß in hartem Fron er dienen,

Ein Herkules im Knechtsgewand,

Da muß er mit des Windes Flügel

Wettlaufen in erglühter Hast

Und über Heide, Strom und Hügel

Dahinziehn die getürmte Last.


Des Mühlrads ungeheure Speichen

Muß er im Schwunge rastlos drehn,

Ans Schiff geschmiedet muß er keichen

Als Ruderknecht bei Sturmeswehn,

Er muß den Riesenhammer führen

Zu ewig wiederholtem Schlag,

Des Webstuhls Spulen sausend rühren;

Ein neues Werk bringt jeder Tag.


Seit Jahren trägt er's, doch im stillen

Gedenkt er seines Stammes noch,

Und feindlich allem Menschenwillen,

Ingrimmig knirscht er in sein Joch.

O wenn von seiner Kraft getrieben

Ihr nachts durchflogt ein weit Gebiet,

Vernahmt ihr bei der Funken Stieben,

Vernahmt ihr nie sein dräuend Lied?


»Frohlocket nur, ihr Herrn der Erde!

Ihr Staubgebilde, bläht euch nur,

Daß ihr uns herzwangt zur Beschwerde,

Die alten Götter der Natur![11]

Ein schnöder Raub ist eure Krone,

Ein Hochverrat ist euer Ruhm;

Denn uns verstießet ihr vom Throne

Und teiltet unser Fürstentum.


Wohl dienen wir euch nun als Knechte

Und dulden eurer Geißel Schlag;

Doch murren wir im Schoß der Nächte

Und harren auf der Sühnung Tag.

Es bleibt des Glückes Sonnenwende

Für kein Geschlecht von Herrschern aus;

Auch euer Reich hat einst ein Ende!

Auch euer Bau zerfällt in Graus!


Wenn ihr dereinst in Eisenbande

Des letzten Eilands Wildnis schlugt,

Wenn prunkend ihr durch alle Lande

Die Fackel stolzer Weisheit trugt,

Wenn dann von euren Königsesseln

Ihr greifet nach des Himmels Schein:

Dann springen jählings unsre Fesseln,

Dann bricht der Tag des Zorns herein.


Dann wird des Vaters Krone blitzen,

Und jeder Blitz ist Weltenbrand;

Dann wird bis zu der Berge Spitzen

Die Mutter ziehn ihr Schaumgewand;

Dann will ich selbst auf freier Schwinge

Durchs All, Zerstörung brausend, wehn

Und überm Trümmersturz der Dinge

Aufjauchzen und ins Nichts vergehn.«

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 10-12.
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