Sonett des Dante

[91] Sobald die Nacht mit dunklem Flügelpaar

Die Erd' umfängt, daß jeder Strahl verblaßt:

In Luft und Meer, im Wald von Ast zu Ast

Und unterm Dach wird still, was rege war.


Denn Schlaf, der durch die Glieder wunderbar

Sich ausgießt, gönnet dem Gedanken Rast,

Bis daß aufs neu den Tag mit seiner Last

Aurora weckt im blonden Lockenhaar.


Ich Unglücksel'ger nur bleib' unerquickt;

Denn Seufzen, feindlich aller Ruhe, schafft

Mein Auge schlaflos und mein Herz voll Bangen.


Und, gleich dem Vögelchen im Garn verstrickt,

Je mehr ich suche zu entfliehn der Haft,

So mehr im Wirrsal find' ich mich gefangen.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 91-92.
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