Eine Seeräubergeschichte

[320] Erzählung eines alten Steuermanns.


Wir hatten Öl geladen und Korinthen

Und segelten vergnügt mit unsrer Fracht

Von Malta auf Gibraltar, Jochen Schütt,

Der Lüb'sche Kapitän, mit fünf Matrosen,

Und ich, Hans Kiekebusch, als Steuermann.

Der Wind blies lustig, und wir waren schon

Sardinien vorbei, als hinter uns

Nordosther ein verdächtig Segel aufkam,

Das wie mit Siebenmeilenstiefeln lief.

Bedenklich kuckte Jochen Schütt durchs Glas

Und schüttelte den Kopf und kuckte wieder,

Und immer länger ward sein schlau Gesicht.

»Verdammte Suppe!« brach er endlich los,

»Der Haifisch soll mich schlucken, wenn das nicht

Tuneser sind, Spitzbuben, die's auf uns

Und unsern schmucken Schoner abgesehn!

Bei Gott, jetzt heißt es: Alles Weißzeug los

Und stramm gesegelt!«

Leider war's zu spät.

Ein Viertelstündchen noch, da wußten wir,[320]

Daß Flucht unmöglich. Gleich darauf auch ließ

Das Kaperschiff die rote Flagge schon

Vom Topmast fliegen, und ein Schuß befahl

Uns beizulegen. An Verteidigung

War nicht zu denken: Sieben waren wir,

Die höchstens Sonntags mal im Lauer Holz

Mit Schrot geknallt, und drüben an die Vierzig,

Verwegnes Raubvolk insgesamt, auf Mord

Und Totschlag eingeübt wie wir aufs Kegeln.

Mit einer einz'gen Salve hätten sie

Uns weggefegt; drum hieß uns Jochen Schütt

Geruhig bleiben und ihn machen lassen.

Ein Stückchen, meint' er, hab' er ausgedacht,

Das uns vielleicht noch aus der Tinte hülfe.

Zwar spiel' er auf Va banque damit, indes

Am Ende sein wir Christenmenschen doch,

Und Gott im Himmel könn' ein Einsehn haben.

So brümmelnd stieg er zur Kajüt' hinab

Und nahm die andern mit; nur mir befahl er,

Auf Deck zu bleiben und dem leidigen

Besuch, als käm' er auf ein Frühstück bloß,

Mit Höflichkeit zu ihm den Weg zu weisen.


Mir schlug das Herz bis an den Hals, als nun

Mit jeglicher Minute der Korsar

Uns näher rückte. Bald erkannt' ich schon

Die Fuchsgesichter mit den Rattenzöpfen,

Das Negervolk, das in den Tauen hing.

Jetzt sah ich, wie solch rotbekappter Schuft

Den Enterhaken hob, jetzt machten's ihm

Zehn andre nach und jetzt – ein einz'ger Schlag,

Ein ungeheurer Ruck, und Bord an Bord,

Mit dem Tuneser lagen wir.

Ein Mohr,

Die breite Kling' im Maule, sprang zuerst

Auf unser Schiff, dann kam der Hauptmann selbst

Einäugig, stachelbärtig wie ein Kater,[321]

Am grünen Bund den Halbmond von Rubin,

Und dann die andern, meist ein quittengelb,

Zerlumpt Gesindel, doch mit langem Rohr,

Mit Beil und Messer Mann für Mann versehn.

Mir lief's den Rücken kalt wie Eis hinab.

Doch macht' ich nach des Kapitäns Geheiß

Den schönsten Bückling, und verbindlich dann

Den Weg anzeigend fuhr ich wie ein Kellner

In Sprüngen die Kajütentrepp' hinab.

Auch poltert' es alsbald mit schwerem Tritt

Mir nach, und, ein Pistol in jeder Hand,

Trat Meister Einaug' in die Tür, doch blieb er,

Als er sich umsah, wie ein Zaunpfahl stehn.

Denn vor ihm saß, den Hut auf einem Ohr,

Aus kurzer Pfeife Dampf und Funken paffend,

Auf offner Pulvertonne Jochen Schütt,

Und ringsumher lag wie ein Zauberkreis

Ein breiter Streif von Pulver aufgestreut.

Wir standen hinter ihm und mucksten nicht;

Er aber, ruhig sitzenbleibend, tat,

Als wüßt' er gar von keinem Harm, und sah

Den Türken an und sagte: »Guten Tag!

Was steht zu Diensten, wenn ich bitten darf?«

Und als nun der sich wie ein Puterhahn

Aufplustert und in seinem Kauderwelsch

Zu kollern anfängt und, wie das nicht fleckt,

Die Zähne weist und mit Geberden droht,

Sagt Jochen Schütt: »Ja, Türk'sch versteh' ich nicht,

Mein lieber Herr; doch parlez-vous français?«

Und dazu pafft er toller stets und macht

Den Meerschaumkopf wie einen Schornstein sprühn,

Daß mir, bei Gott, schon daucht, wir fliegen auf.

Das schien denn unserm Rinaldini auch

Ein schlechter Spaß; er wurde grün vor Wut,

Und plötzlich macht' er Kehrt und schoß hinaus.


Nun ging ein heftig Schnattern droben an.

Und dann ein Poltern, Schieben, Ziehn und Winden,[322]

Als kehrten sie vom Schiffsraum bis aufs Deck

Das Unterste zu oberst, während wir

In tausend Ängsten wie die Hühner uns

Um unsern Kapitän zusammendrückten,

Der keine Silbe sprach und langsam nur

Fortqualmte. Zwar die Ladung, wußten wir,

War gut versichert, doch wir fürchteten,

Die Heiden würden, wenn sie's ausgeraubt,

Das Schiff aus purer Bosheit sinken machen,

Und dann, ihr Lüb'schen Türme, gute Nacht!

So ging ein langes banges Stündlein hin.

Da plötzlich hörten wir durch all den Lärm

Die Bootsmannspfeife kreischen, ein entsetzlich

Gedräng' entstand an Bord, wie Flucht beinah,

Und kurz darauf geschah ein Stoß und Rauschen,

Als riss' ein Donnerwetter Schiff von Schiff;

Und dann mit eins war's still. Wir warteten

Ein Weilchen noch und horchten, doch es pfiff

Auch nicht die Maus im Loch; kein Zweifel mehr,

Sie waren fort. –

»Was nu?« sprach Jochen Schütt,

»Die Luft an Bord scheint wieder klar zu sein,

Ich denk', wir sehn uns mal den Schaden an.«

Und stieg hinauf aufs Deck, und wir ihm nach.


Da sah's denn gräulich aus. Im großen Stall

Der Arche Noäh war nicht solch ein Wust,

Als aller Welt Getier das Schiff geräumt.

Packstroh und Scherben rings, Korinthenfässer,

Ölpiepen, Werkzeug, Zwiebeln, Kochgerät,

Im tollsten Wirrwarr alles durcheinander,

Als wär' in allerbester Arbeit just

Das große Plünderfest gestört. Und so

Verhielt sich's auch. Denn von Nordosten kam,

Indes der Türk', wie ein gejagter Habicht,

Nach Süden fortschoß, eine englische

Fregatt' heran mit vollem Wind und ließ

Die blaubekreuzte Flagge lustig wehn.[323]

Das gab ein Jubeln, ein Umarmen jetzt!

Der Schiffsjung' fiel auf seine Knie, der Koch

Der letzt in Portsmouth überwintert, schwang

Die Zipfelmütz' und sang: »God save the king

Doch Jochen Schütt nahm eine Zwiebel auf

Und roch daran und niest'; ich merkt' es wohl,

Wir sollten ihn nicht weinen sehn. Dann zog er

Den Hut und sprach: »Nun danket alle Gott!

Heut tut mir's leid, daß ich nicht singen kann,

Weil ich beim alten Haase Schulen lief.

Den Engelsmann schickt uns der Himmel selbst.

Auch keinen roten Sechsling gab ich mehr

Für unser Leben, blieb er aus. Nun lief's

Noch gnädig ab.« –

»Ein wahrer Segen auch«,

Sagt' ich, »Kap'tän, daß Euch das Pulver einfiel,

So kam uns selbst der Engelsmann zu spät.«

»Ja, Pulver!« lacht' er, und die Schlauheit blitzt'

Ihm aus den Augen, »Pulver! Hat sich was!

Wir haben keine zwanzig Schuß an Bord.

Das schwarze Zeug, wovor der Heidenkerl

Die Angst gekriegt, war – Rübsaat aus Schwerin,

Und mein Kanarienvogel frißt davon.

Ein richt'ger Mann muß sich zu helfen wissen,

So hilft ihm Gott wohl auch. – Und nun seht nach,

Ob uns das Volk auch überm Rum gewesen.

Ich denk', ein Schluck soll gut tun auf den Schreck.«

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 320-324.
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