An Georg Herwegh

[196] Februar 1842.


Es scholl dein Lied mir in das Ohr

So schwertesscharf, so glockentönig,

Als wär' aus seiner Gruft empor

Gewallt ein alter Dichterkönig.

Und doch! Ich weis' es nicht von mir,

Ich muß dich in die Schranken laden;

Komm an in voller Harnischzier,

Auf Tod und Leben Kampf mit dir,

Kampf, du Poet von Gottes Gnaden.


Bist du dir selber klar bewußt,

Daß deine Lieder Aufruhr läuten;

Daß jeglicher nach seiner Brust

Das Ärgste mag aus ihnen deuten?

Der Zwerg, der matte Pfeile schnitzt,

Wohl, - schieß' er, ohne fest zu zielen;

Doch wer vom Wetterlicht umblitzt

Im Donnerwagen grollend sitzt,

Der soll nicht mit den Zügeln spielen.


Fürwahr, ein Sämann schreitest du,

Der Samen streut, doch der Zerstörung;

Ein Glöckner, der aus ihrer Ruh'

Die Völker stürmt, doch zur Empörung.[196]

Du willst die Flamme, die so rein

Und heilig strahlt durch alle Lande,

Du willst den warmen Gottesschein

Zur Fackel Herostrats entweihn

Und schwingst sie wild zum Tempelbrande.


Wozu sonst dieses Schwerterklirrn,

Die Kriege, die dein Lied gefodert,

Die hast'ge Glut, die durch dein Hirn

In tausend Funken prächtig lodert?

O nein! Das ist nicht deutsche Art!

Wohl kämpfen wir auch für das Neue;

Ums Freiheitsbanner dicht geschart,

So stehn auch wir; doch aufbewahrt

Aus alter Zeit blieb uns die Treue.


Verhaßt auch uns ist der Baschkir,

Der Unterjocher der Gedanken,

Und keinen Deut begehren wir

Von jenen übermüt'gen Franken.

Wir wollen auch, daß frei das Wort

Durch alle Lüfte möge fluten;

Es dünkt auch uns in Süd und Nord

Das Wort der beste Freiheitshort -

Doch soll darum dein Volk verbluten?


Nein! Glaub', der Tag ist bald erwacht,

Der Morgen naht, wo wir's erringen,

Nicht ohne Kampf, doch ohne Schlacht,

Der Geist ist stärker als die Klingen.

Geharnischt steht er auf dem Plan,

Er, der mit Luthern einst gefochten;

Durch tausend Lanzen bricht er Bahn,

Und mag die Hölle dräuend nahn:

Der Lorbeer bleibt ihm doch geflochten.


Drum tu dein Schwert an seinen Ort,

Wie Petrus tat, da er gesündigt;[197]

Die Freiheit geht nicht auf aus Mord,

Blick nach Paris, das dir's verkündigt.

Vom Geist will sie gewonnen sein;

Doch wer ihr Kleid, so rein und heiter,

Mit blut'gem Makel mag entweihn,

Und säng' er Engelsmelodein:

Der ist der Welt, nicht Gottes Streiter.


Ich sing' um keines Königs Gunst,

Es herrscht kein Fürst, wo ich geboren;

Ein freier Priester freier Kunst

Hab' ich der Wahrheit nur geschworen.

Die werf' ich keck dir ins Gesicht,

Keck in die Flammen deines Branders;

Und ob die Welt den Stab mir bricht:

In Gottes Hand ist das Gericht;

Gott helfe mir! - Ich kann nicht anders.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 196-198.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Zeitstimmen
Zeitstimmen: Zwölf Gedichte (German Edition)

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon