An den König von Preußen

[203] Dezember 1842.


Ich habe nie nach Gunst gerungen,

Ich sang allein, was ich gemußt;

Wie Rosen, frisch dem Lenz entsprungen,

So brach's hervor aus meiner Brust.

Und fröhlich streut' ich in die Winde

Die leichte, reiche Blumenpracht;

Ob sie der Freund, der Tadler finde,

Ich hab' es nie zuvor bedacht.


Doch dir, o Fürst aus edlem Stamme,

Der treu vor Gott sein Volk regiert,

Den schöner noch des Geistes Flamme

Als seiner Väter Krone ziert,

Auf den, wenn sich die Wolken schwärzen,

Als Leuchtturm schauet Deutschlands Kern:

Wie dank' ich dir aus tiefstem Herzen,

Wie dank' ich alles dir so gern!


Was ich in unsrer Wälder Stille,

An Hellas' Strand umsonst begehrt,

Das hat dein königlicher Wille

Aus freien Hulden mir gewährt:

Du gabst ein Leben mir, vom Staube

Des niedern Marktes unberührt,

Ein Leben, wie's im grünen Laube

Der freie Vogel singend führt.


So helfe Gott mir, daß ich walte

Mit Ernst des Pfundes, das mir ward,

Daß ich getreu am Banner halte

Der deutschen Ehre, Zucht und Art.[203]

Fern von dem Schwarm, der unbesonnen

Altar und Herz in Trümmern schlägt,

Quillt mir der Dichtung heil'ger Bronnen

Am Felsen, der die Kirche trägt.


Nicht, daß mir drum in Nacht versunken

Die Welt und ihre Schönheit sei,

Nein! Wer aus jenem Born getrunken,

Dem ward erst ganz die Lippe frei.

Sein ernster Mut mag fröhlich scherzen,

Des Grundes, drauf er steht, bewußt;

Er trägt erblüht im reinen Herzen

Den Rosengarten jeder Lust.


Und wo die grimmsten Qualen bluten,

In jeden Abgrund schaut er kühn,

Sieht er doch ob den finstern Fluten

Den Bogen der Versöhnung glühn.

Den Fluch, den Ödipus entsandte,

Er zeugt ihn neu aus heiterm Sinn

Und schreitet unversehrt wie Dante

Selbst durch der Hölle Flammen hin.


So laß mich stehn, so laß mich ringen

Und so durch Wonn' und Jammer gehn!

Kein eitel Spielwerk ist mein Singen,

Ich spür' in mir des Geistes Wehn.

Und ob auch der Vernichtung Tönen

Der Haufe rasch entgegenflammt:

Zu baun, zu bilden, zu versöhnen,

Fürwahr, mir dünkt's ein besser Amt.


Ob jemals ich den Kranz gewinne,

Des Dichters Preis, wer sagt es an!

Steil ragt empor des Ruhmes Zinne,

Und kaum betrat ich erst die Bahn.

Doch rührt von jenen dunkeln Zweigen

Ein Blatt auch nur die Stirne mir:

Der Mutter sei's geweiht zu eigen,

Dem deutschen Vaterland - und dir.[204]

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 203-205.
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