Der junge Tscherkessenfürst

[191] Sie haben mir gesagt: »Komm her, du Sohn der Steppe!

Komm her und küss' im Staub des Zaren Purpurschleppe!

Der Lohn ist groß, die Tat ist klein.

Du sollst geschmückt alsdann dem Herrn zur Linken reiten,

Es soll dein kecker Fuß auf Bauernstirnen schreiten,

Der Höchsten einer sollst du sein.


Was frommt dir steter Kampf mit ruhelosen Zügen?

Wir lehren dich, wie leicht im wechselnden Vergnügen

Dahin das rasche Leben rollt;

Wir wollen dir ein Haus mit prächt'gen Sälen bauen,

Dein Stall sei voll Gewieh'r, dein Schlafgemach voll Frauen,

Dein straffer Säckel schwer von Gold.


Des Köstlichsten soll nie dein reicher Tisch bedürfen,

Du sollst von Epernay den Schaum der Traube schlürfen

Aus hellgeschliffenem Kristall,

Und wenn der Abend naht, den leichten Rausch zu enden,

So sei sie dir gewährt, die Wollust, zu verschwenden

Bei Kartenspiel und Würfelfall.


Du sollst auf prächt'gem Ball, wenn tausend Kerzen funkeln,

Mit deiner reichen Tracht, mit deinem Wuchs verdunkeln

Der Kronbeamten stolzen Schwarm;

Auf Wellen der Musik sollst du dich jauchzend wiegen

Und sporenklirrend durch den Saal im Tanze fliegen

An einer Kaisertochter Arm.


Beim Lager sollst du schaun, wie sich im Flintenfeuer

Die Regimenter drehn, vielfüß'ge Ungeheuer,

Auf denen hoch die Fahne schwankt;

Die Trommel wirbelt dumpf, das Feldhorn läßt sich hören,

Die Batterie fällt ein mit ihren Donnerchören,

Daß unter ihr der Boden wankt.[192]


Ja, mehr der Wunder noch! Groß ist die Macht des Zaren;

Du sollst auf einem Schiff mit Doppelrädern fahren,

Von keines Tauwerks Last beschwert;

Dem Strome beut es Trotz und Trotz dem Sturmgeheule,

Wenn drin die Esse glüht, und wenn aus schwarzer Säule

Der Gischt des Dampfes brausend fährt.


Das alles bieten wir. Nur laß die blut'gen Horden,

Laß Steppe, Krieg und Zelt; komm reuig her zum Norden

Und vor dem Herrscher beuge dich.« -

Ich aber wandte mich bei ihrer Worte Hadern,

Es schwoll der rote Zorn empor in meinen Adern -

Der Zar ist nur ein Fürst wie ich.


Kasan hat seine Fraun, schneeweiß mit schwarzen Locken,

Moskau hat seinen Kreml, und Kiew seine Glocken,

Und Petersburg hat mehr als das;

Doch böten sie mir auch die Wunder aller Fremde:

Nicht käuflich sind mir drum mein schuppig Panzerhemde

Und meine Freiheit und mein Haß.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 191-193.
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Zeitstimmen: Zwölf Gedichte (German Edition)

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