Elfter und letzter Auftritt

[494] Die Vorigen.


LORCHEN. Ich habe noch ein Wort mit Ihnen zu reden, Herr Simon. Sie sind so großmütig gewesen und haben mich zu Ihrer Braut erwählt, und ich gestehe Ihnen, daß ich mir kein größer Glück in der Welt wünsche, als die Frau eines so edelgesinnten Mannes zu sein. Ich gebe Ihnen hiermit die aufrichtigste Versicherung, daß ich Sie liebe. Sie küßt ihn. Allein ich höre auch mit diesem Geständnisse auf, die Ihrige zu sein. Ihr Herz war nicht für mich, sondern für Christianchen bestimmt, und je mehr Vergnügen ich in der Ehe mit Ihnen würde genossen haben, desto unruhiger würde ich geworden sein, daß ich meiner Freundin so viel entzogen hätte. Werfen Sie mir nicht vor, daß ich zu zärtlich in der Freundschaft bin. Ich will lieber durch den Überfluß der Freundschaft fehlen als durch den Mangel.

SIMON. Um des Himmels willen, was fangen Sie mit mir an? Wozu bringen Sie mich? Ist mir denn alles in der Liebe zuwider?

LORCHEN. Lassen Sie mich ausreden, so werden Sie hören, ob ich Ihnen unrecht tue. Sie haben mich gewiß aus der besten Absicht gewählt, und ich glaube, daß ich Ihr Herz einigen von meinen Eigenschaften zu danken habe. Allein überlegen Sie wohl, ob nichts mehr als die Liebe an dieser Wahl Anteil hat? Der Verdruß, den Sie mit der Frau Richardin gehabt, hat sich gewiß ohne Ihr Wissen mit in das Spiel gemengt. Sie schlug Ihnen Christianchen ab, und gleich darauf trugen Sie mir Ihr Herz an. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf: ich will Ihnen auch Ihre Liebe zu mir nicht verdächtig machen. Ich will nicht sagen, daß sie zu geschwind entstanden ist. Nein, ich will es anders ausdrücken. Ich glaube nicht, daß ich so viel Reizungen besitze, daß ich in so kurzer Zeit mir Ihre Liebe zu eigen machen könnte. Gesetzt auch, daß sie noch so gegründet wäre, so bleibe ich doch bei meinem Vorsatze. Ich habe alles wohl überlegt. Ihr Herz gehört niemanden als Christianchen. Sie verdient es, wo nicht mehr, doch ebensowohl als ich. Sie hat es aus Liebe zu mir nicht annehmen wollen, und um mich glücklich zu machen, hat sie später glücklich werden wollen. Sie liebt Sie, ohne es zu wissen, und Sie können nach meinem Urteile nicht glücklicher wählen als bei Christianchen. Bleiben Sie also bei Ihrem ersten Entschlusse! Sie sind nicht unbeständig gegen Christianchen gewesen, denn Sie haben ihren Wert nicht genug gekannt. Ich begleite[495] Christianchen nach Berlin. Sie lebt noch ein Jahr bei mir, ehe Sie sich mit ihr vermählen. Es steht bei Ihnen, ob Sie meinem Rate folgen wollen, der die aufrichtigste Absicht zum Grunde hat. Genug, ich bin nicht mehr Ihre Braut, sondern Ihre gute Freundin.

SIMON. Liebste Eleonore, in welche Bestürzung setzen Sie mich! Ich weiß nicht, – Ist es denn nicht möglich, daß Sie mich lieben können?

LORCHEN. Ich will Ihnen die Mühe nicht machen, mich weitläuftig zu widerlegen. Ich will unrecht haben. Ich glaube, daß ich Sie beleidige, und daß Sie sich dergleichen fremden Antrag niemals vermutet haben. Allein ich wiederhole es: Entweder Christianchen ist Ihre Braut, oder keine von uns beiden.

FERDINAND. Ach, Lorchen! Wozu bringen Sie Herr Simonen? Übereilen Sie sich doch nicht, ich bitte Sie!

LORCHEN. Ich übereile mich nicht. Antworten Sie mir, mein lieber Herr Simon. Ist Christianchen Ihre Braut, und soll ich mit ihr nach Berlin reisen?

SIMON. Lassen Sie mich doch nur von meiner Bestürzung zu mir selber kommen! Sie verfahren gewiß zu strenge mit mir. Ich weiß ja nicht, ob die unschuldige Christiane sich entschließen kann ... Also darf ich mir keine Hoffnung machen, Sie zu besitzen, meine Eleonore? Verdiene ich nicht länger als etliche Augenblicke von Ihnen geliebt zu werden? Bin ich denn in einem Traume oder schlagen Sie mir wirklich Ihr Herz ab? Darf ich gar nicht mehr hoffen?

LORCHEN. Nein, Sie dürfen nicht mehr hoffen. Beruhigen Sie sich, wenn ich Ihnen gestehe, daß es mir so sauer ankommt, dieses zu sagen, als es Ihnen sein kann, es anzuhören. Genug, ich opfere die Liebe der Freundschaft auf, mein Herz mag dawider sagen, was es will. Sie gehören Christianchen zu, und ich will mich vollkommen glücklich schätzen, wenn Sie dieses liebenswürdige Kind von meiner Hand annehmen. Sie liebt Sie gewiß; allein sie hat aus Liebe zu mir mich durch Sie glücklich machen und sich selber vergessen wollen. Ich bin also nicht einmal so großmütig als Christianchen. Was ich tue, ist nur eine Belohnung oder eine Erkenntlichkeit für die Freundschaft, die sie mir freiwillig erwies. Erfüllen Sie meine Bitte, lieber Herr Simon, und nehmen Sie meine unschuldige Freundin von mir an. Ich reise mit ihr nach Berlin, und es bleibet bei meinem Versprechen. Geben Sie[496] diesen Abend Ihr Wort von sich, und verschieben Sie das Hochzeitsfest noch ein Jahr! Ihre Ehe wird alsdann ein Beispiel der besten Ehe sein. Denken Sie nicht mehr an mich; sondern von diesem Augenblicke an an Christianchen. Ich bitte Sie bei der Zuneigung, die Sie mir heute geschenkt haben, denn ich weiß nichts Kostbarers.

SIMON. Ich kann nichts weiter sagen, als daß ich Christianchen von Ihrer Hand annehmen und Ihre Großmut und mein Schicksal zeitlebens bewundern werde. Ach, Herr Ferdinand, wer hätte diesen Ausgang vor einer Stunde vermutet? Ich gehorche dem Verhängnisse und der Liebe. Christianchen sei zum ändern Male meine Braut und auf ewig die Meinige. Wird sie mich auch lieben? Wie unruhig ist mein Herz, wenn es liebt, und was ist gleichwohl süßer als die unschuldige Liebe? Liebste Eleonore, glauben Sie wohl, daß Christianchen mich liebt?

LORCHEN. Ja. Sie liebt Sie, Herr Simon, und ich freue mich über den glücklichen Ausgang Ihrer Liebe. Ich will mit Christianchen reden; verlassen Sie sich auf mich und auf Ihren eignen Wert. Wie zufrieden will ich sein, wenn ich Sie beide in dem Glücke sehe, das Sie verdienen, und wenn ich den süßen Gedanken mit mir herumtragen kann, daß ich zu diesem Vergnügen etwas beigetragen habe! Kommen Sie, wir wollen zur Frau Richardin gehen, sie wird diesen guten Erfolg mehr als einmal ihrem Gebete zuschreiben.

FERDINAND. Das heißt Großmut! Das heißt Freundschaft! Wenn doch viele solche weltlich gesinnte Frauenzimmer in der Welt wären wie Lorchen und Christianchen und keine einzige so heilige Frau wie meine Frau Muhme, die Betschwester! Lorchen, ich habe kein Kind. Sie sind meine Tochter. Nehmen Sie die fünftausend Taler von Herrn Simonen nicht an. Ich will Sie allein glücklich machen. Kommen Sie, meine liebe Tochter, wir wollen gehen. Er nimmt sie bei der Hand, und sie küßt ihm die Hand.

LORCHEN zu Simonen. Erlauben Sie mir das Vergnügen, daß ich Sie zu Ihrer Braut führen darf. Das gute Kind wird recht erschrecken.

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 494-497.
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