Zehnter Auftritt

[391] Der Magister. Cleon.


DER MAGISTER. Ich habe deiner Tochter Julchen alle mögliche Vorstellungen getan. Ich habe mit der größten Selbstverleugnung mit ihr gesprochen. Ich habe ihr die stärksten Beweise angeführt; aber ...

CLEON. O hättest du ihr lieber ein paar Exempel von glücklich verheirateten Mädchen angeführt.

DER MAGISTER. Sie widersprach mir mehr als einmal; aber ich kam nicht aus meiner Gelassenheit. Ich erwies ihr, daß sie verbunden wäre, zu heiraten.

CLEON. Du hast dir viel Mühe geben. Ich denke, wenn ein Mädchen achtzehn Jahre alt ist: so wird sie nicht viel wider diesen Beweis einwenden können.

DER MAGISTER. Julchen sah alles ein. Ich machte es ihr sehr deutlich. Denn wenn man mit Ungelehrten zu tun hat, die nicht abstrakt denken können: so muß man sich herunterlassen und das Ingenium zuweilen zu Hülfe nehmen.

CLEON. Aber wie weit hast du Julchen durch deine Gründe gebracht? Will sie den Herrn Damis heiraten? Hat sie denn ihre Herzensmeinung nicht verraten? Ich kann ja den rechtschaffenen[391] Mann nicht länger aufhalten. Er meint es so redlich und hat so viele Verdienste.

DER MAGISTER. Sie sagte, sie wäre unruhig. Und das war eben schlimm. Denn die Gründe der Philosophie fordern ein ruhiges Herz, wenn sie die Überzeugung wirken sollen. Wenn der Verstand durch die Triebe des Willens bestürmt wird: so ist er nicht aufmerksam. Und ohne Aufmerksamkeit sind die schärfsten Beweise nichts als stumpfe Pfeile.

CLEON. Rede nicht so tiefsinnig. Du hättest sie eben sollen ruhig machen: so sähe ich den Nutzen von deiner Geschicklichkeit.

DER MAGISTER. Ich versuchte alles. Ich zeigte ihr die schöne Seite der Liebe. Ich sagte ihr ernstlich, daß eine glückliche Ehe das größte Vergnügen wäre.

CLEON. Ja, die glücklichen Ehen sind etwas sehr Schönes. Aber du hättest ihr sagen sollen, daß ihre Ehe wahrscheinlicherweise sehr glücklich werden würde. Das ist meine Absicht gewesen, warum ich dich zu ihr geschickt habe.

DER MAGISTER. Kurz und gut, durch Lehrsätze und Erweise ist sie nicht zu gewinnen, das sehe ich wohl. Sie versteht wohl die einzelnen Sätze; aber wenn sie sie in Gedanken zusammen verbinden und dem Schlusse das Leben geben soll: so weichet ihr Verstand zurück, und sie wird ungehalten, daß er sie verläßt.

CLEON. Also kannst du mir weiter nicht helfen und sie nicht überreden?

DER MAGISTER. Es gibt noch gewisse witzige Beweise zur Überredung, die man Beweise και άνς ωπον nennen könnte. Dergleichen sind bei den alten Rednern die Fabeln und Allegorien oder Parabeln. Bei Leuten, die nicht scharf denken können, tun diese witzigen Blendwerke oft gute Dienste. Ich will sehen, ob ich durch mein Ingenium das ausrichten kann, was sie meinem Verstande versagt hat. Vielleicht macht ihr eine Fabel mehr Lust zur Heirat als eine Demonstration. Ich will eine machen und sie ihr vorlesen und tun, als ob ich sie in einem Fabelbuche eines jungen Menschen in Leipzig gefunden hätte, der sich durch seine Fabeln und Erzählungen bei der Schuljugend so beliebt gemacht hat.

CLEON. Ach ja, das tue doch, damit wir alles versuchen. Wenn die Fabel hübsch ist: so kannst du sie gleich auf meiner Tochter Hochzeit der Welt mitteilen. Mache nur nicht gar zu lange darüber. Eine Fabel ist ja keine Predigt. Es muß ja nicht alles so[392] akkurat sein. Meine Tochter wird dich nicht verraten. Mache, daß sie Ja spricht: so will ich dir ohne Fabel, aber recht aufrichtig danken. Der Magister geht ab.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 391-393.
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