Erster Auftritt

[396] Cleon. Julchen.


CLEON. Du wirst doch wissen, ob du ihm gut bist?

JULCHEN. Lieber Papa, woher soll ich's denn wissen? Ich will Ihnen gerne gehorchen; aber lassen Sie mir nur meine Freiheit.

CLEON. Ich will Ihnen gerne gehorchen; aber lassen Sie mir nur meine Freiheit. Kleiner Affe, was redst du denn? Wenn ich dir deine Freiheit lassen soll: so brauchst du mir ja nicht zu gehorchen. Ich will dich gar nicht zwingen. Ich bin dir viel zu gut. Nein, sage mir nur, ob er dir gefällt.

JULCHEN. Ob mir Herr Damis gefällt? Vielleicht, Papa. Ich weiß es nicht gewiß.

CLEON. Tochter, schäme dich nicht, mit deinem Vater aufrichtig zu reden. Du bist ja erwachsen, und die Liebe ist ja nichts Verbotenes. Gefällt dir seine Person, seine Bildung?

JULCHEN. Sie mißfällt mir nicht. Vielleicht ... gefällt sie mir gar.

CLEON. Mädchen, was willst du mit deinem Vielleicht? Wir reden ja nicht von verborgenen Sachen: du darfst ja nur dein Herz fragen.

JULCHEN. Aber wenn nun mein Herz so untreu ist und mir nicht aufrichtig antwortet?

CLEON. Rede nicht so poetisch. Dein Herz bist du, und du wirst doch wissen, was in dir vorgeht. Wenn du einen jungen, wohlgebildeten, geschickten, vernünftigen und reichen Menschen[396] siehst, der dich zur Frau haben will: so wirst du doch leicht von dir erfahren können, ob du ihn zum Manne haben möchtest.

JULCHEN. Zum Manne? ... Ach, Papa! lassen Sie mir Zeit. Ich bin heute unruhig, und in der Unruhe könnte ich mich übereilen. Ich glaube in der Tat nicht, daß ich ihn liebe, sonst würde ich munter und zufrieden sein. Wer weiß auch, ob ich ihm gefalle?

CLEON. Wenn du darüber unruhig bist: so hat es gute Wege. Bist du nicht ein albernes Kind! Wenn du ihm nicht gefielst: so würde er sich nicht so viele Mühe um dich geben. Er kennt dich vielleicht besser, als du dich selbst kennst. Stelle dir einmal vor, ob ich deine selige Mutter, da sie noch Jungfer war, zur Ehe begehret haben würde, wenn sie mir nicht gefallen hätte. Indem er zu dir sagt: Jungfer Julchen, oder wie er dich nennt ... Du kannst mir's ja sagen, wie er dich heißt.

JULCHEN. Er heißt mich Mamsell.

CLEON. Kind, du betrügst mich. Er spräche schlechtweg Mamsell? Das kann nicht sein.

JULCHEN. Zuweilen spricht er auch liebe Mamsell.

CLEON. Tochter, du verstellst dich. Ich bin ja dein Vater. Im Ernste, wie heißt er dich, wenn er's recht gut meint?

JULCHEN. Ich kann mich selbst nicht besinnen. Er spricht ... er spricht ... mein Julchen ...

CLEON. Warum sprichst du das Wort so kläglich aus? Seufzest du über deinen Namen? Dein Name ist schön. Also spricht er zu dir: Mein Julchen? Gut, hat er dich nie anders geheißen?

JULCHEN. Ach ja, lieber Papa. Er heißt mich auch zuweilen: Mein schönes Julchen. Warum fragen Sie mich denn so aus?

CLEON. Laß mir doch meine Freude, du kleiner Narr. Ein rechtschaffener Vater hat seine Töchter lieb, wenn sie wohlgezogen sind. Ich bin ja stets freundlich mit euch umgegangen. Aber daß ich wieder auf das Hauptwerk komme. Ja, indem Herr Damis z.E. zu dir spricht: Mein schönes Julchen, ich habe dich ...

JULCHEN. O! Er heißt mich Sie. Er würde nicht du sprechen. Das wäre sehr vertraut, oder doch wenigstens unhöflich.

CLEON. Nun, nun, wenn er dich auch einmal du hieße, deswegen verlörst du nichts von deiner Ehre. Hat mich doch meine selige Frau als Braut mehr als einmal du geheißen, und es klang mir immer schön. Indem er also zu dir spricht: Mein schönes Julchen, ich bin Ihnen gut: so sagt er auch zugleich, Sie gefallen mir; denn sonst würde er das erste nicht sagen.[397]

JULCHEN. Das sagt er niemals zu mir.

CLEON. Du machst mich böse. Ich habe es ja mehr als einmal selber gehört.

JULCHEN. Daß er zu mir gesagt hätte: Ich bin Ihnen gut?

CLEON. Jawohl!

JULCHEN. Mit Ihrer Erlaubnis, Papa, das hat Herr Damis in seinem Leben nicht zu mir gesagt. Ich liebe Sie von Herzen, das spricht er wohl; aber niemals, ich bin Ihnen gut.

CLEON. Bist du nicht ein zänkisches Mädchen! Wir streiten ja nicht um die Worte.

JULCHEN. Aber das klinget doch allemal besser: Ich liebe Sie von Herzen, als das andere.

CLEON. Das mag sein. Ich habe das letzte immer zu meiner lieben Frau gesagt, und es gefiel ihr ganz wohl. Daß die Welt die Sprache immer ändert, dafür kann ich nicht. Ihr Mädchen gebt heutzutage auf ein Wort Achtung, wie ein Rechenmeister auf eine Ziffer. Es gefällt dir also, wenn er so zu dir spricht? Gut, meine Tochter, so nimm ihn doch. Was weigerst du dich denn? Ich gehe nach der Grube zu. Worauf willst du denn warten? Kind, ich sage dir's, es dürfte sich keine Gräfin deines Bräutigams schämen. Der Herr Damis möchte heute gerne die völlige Gewißheit haben, ob er ...

JULCHEN. Papa!

CLEON. Nun, was willst du? Nur nicht so verzagt. Ich bin ja dein Vater. Ich gehe ja mit dir wie mit einer Schwester um.

JULCHEN. Papa, darf ich etwas bitten?

CLEON. Herzlich gern. Du bist mir so lieb als Lottchen, wenn jene gleich etwas gelehrter ist. Bitte, was willst du?

JULCHEN. Ich? Ich bin sehr unentschlossen, sehr verdrießlich.

CLEON. Das ist ja keine Bitte. Rede offenherzig.

JULCHEN. Ich wollte bitten, daß Sie ... mir meine Freiheit ließen.

CLEON. Mit deiner ewigen Freiheit! Ich dachte, du wolltest schon um das Brautkleid bitten. Ich lasse dir ja deine Freiheit. Du sollst ja aus freiem Willen lieben, gar nicht gezwungen. Bedenke dich noch eine Stunde. Überlege es hier allein. Ich will dich nicht länger stören. Ich will für dich beten. Das will ich tun.[398]


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 396-399.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon