Zweiter Auftritt

[399] Julchen. Damis.


DAMIS. Darf ich mit Ihnen reden, mein schönes Kind?

JULCHEN. Es ist gut, daß Sie kommen. Die Gesundheit, die Sie mir über Tische von der Liebe zubrachten, hat mich recht gekränkt. Meine Schwester lachte darüber; aber das kann ich nicht. Sie hat heute überhaupt eine widerwärtige Gemütsart, die sich sogar bis auf Sie, mein Herr, erstreckt.

DAMIS. Bis auf mich? Darf ich weiterfragen?

JULCHEN. Ich sagte ihr, daß Sie meiner Meinung wären und behauptet hätten, daß mehr Hoheit der Seele zur Freiheit als zur Liebe gehörte. Darüber spottete sie und sagte dreist, Sie hätten unrecht, wo sie nicht gar noch mehr sagte. Aber lassen Sie sich nichts gegen sie merken; sie möchte sonst denken, ich wollte eine Feindschaft anrichten.

DAMIS. Lottchen wird es nicht so böse gemeint haben. Sie ist ja die Gutheit und Unschuld selbst.

JULCHEN. Das konnte ich mir einbilden, daß Sie mir widersprechen würden. Und ich will es Ihnen nur gestehen, daß ich's zu dem Ende gesagt habe. Freilich hat meine Schwester mehr Gutheit als ich. Sie redt von der Liebe, und so gütig bin ich nicht.

DAMIS. Vergeben Sie es ihr, wenn sie auch etwas von mir gesagt hat. Ich bin ja nicht ohne Fehler. Und vielleicht würde ich Ihnen mehr gefallen, wenn ich ihrer weniger hätte.

JULCHEN. Wozu soll diese Erniedrigung? Wollen Sie mich mit dem Worte Fehler demütigen?

DAMIS. Ach, liebstes Kind, werden Sie es denn niemals glauben, wie gut ich's mit Ihnen meine?

JULCHEN. Daran zweifele ich gar nicht. Sie sind ja meiner Schwester gewogen; und also wird es Ihnen nicht sauer ankommen, mir Ihre Gewogenheit in ebendem Grade zu schenken.

DAMIS. Ja, ich versichere Sie, daß ich Lottchen allen Schönen vorziehen würde, wenn ich Julchen nicht kennte.

JULCHEN. Ich sehe, die Gefahr, mich hochmütig zu machen, ist zu wenig, Sie von einer Schmeichelei abzuschrecken.

DAMIS. Meine liebe Freundin, ich verliere meine Wohlfahrt, wenn dieses eine Schmeichelei war. Warum halten Sie mich nicht für aufrichtig?

JULCHEN zerstreut. Ich ... ich habe die beste Meinung von Ihnen.

DAMIS. Warum sprechen Sie diesen Lobspruch mit einem so traurigen[399] Tone aus? Kostet er Sie so viel? In Wahrheit, ich bin recht unglücklich. Je länger ich die Ehre habe, Sie zu sehen und zu sprechen, desto unzufriedner werden Sie. Sagen Sie mir nur, was Sie beunruhiget. Ich will Ihnen ja Ihre Freiheit nicht rauben. Nein, ich will nicht den geringsten Anspruch auf Ihr Herz machen. Ich will Sie ohne alle Belohnung, ohne alle Hoffnung lieben. Wollen Sie mir denn auch dieses Vergnügen nicht gönnen?

JULCHEN. Sie sind wirklich großmütiger, als ich geglaubt habe. Wenn Sie mich lieben wollen, ohne mich zu fesseln: so wird mir Ihr Beifall sehr angenehm sein. Aber dies ist auch alles, was ich Ihnen sagen kann. Werfen Sie mir mein verdrießliches Wesen nicht mehr vor. Ich will gleich so billig sein und Sie verlassen.

DAMIS. Aber was fehlt Ihnen denn, mein Engel?

JULCHEN unruhig. Ich weiß es in Wahrheit nicht. Es ist mir alles so ängstlich, und es scheint recht, als ob ich das Ängstliche heute suchte und liebte. Ich bitte Sie recht sehr, lassen Sie deswegen nichts von Ihrer Hochachtung gegen mich fallen. Es ist unhöflich von mir, daß ich Sie nicht munterer unterhalte, da Sie unser Gast sind. Aber der Himmel weiß, ich kann nichts dafür. Ich will mir eine Tasse Kaffee machen lassen. Vielleicht kann ich mein verdrießliches Wesen zerstreuen. Aber gehn Sie nicht gleich mit mir. Lottchen möchte mir sonst einige kleine Spöttereien sagen. Wollen Sie so gütig sein?


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 399-400.
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