Dritter Auftritt

[400] Damis. Lottchen.


LOTTCHEN. Nun, Herr Damis, wie weit sind Sie in Ihrer Liebe? Sie weinen? Ist das möglich?

DAMIS. O gönnen Sie mir dieses Glück. Es sind Tränen der Wollust, die meine ganze Seele vergnügen. Wenn Sie nur das liebenswürdige Kind hätten sollen reden hören! Wenn Sie nur die Gewalt hätten sehen sollen, die sie ihrem Herzen antat, um es nicht sehn zu lassen! Sie sagte endlich aufrichtig, sie wäre unruhig. Ach Himmel! mit welcher Annehmlichkeit, mit welcher Unschuld sagte sie dies! Sie liebt mich wohl, ohne es recht zu wissen. Bedenken Sie nur, mein liebes Lottchen, o bedenken Sie nur, wie ...

LOTTCHEN. Warum reden Sie nicht weiter?

DAMIS. Lassen Sie mich doch mein Glück erst recht überdenken. Sie[400] nannte ihre Unruhe ein verdrießliches Wesen. Sie bat mich, daß ich deswegen nichts von der Hochachtung gegen sie solle fahren lassen. Und das Wort Hochachtung drückte sie mit einem Tone aus, der ihm die Bedeutung der Liebe gab. Sie sagte endlich in aller Unschuld, sie wollte sich eine Tasse Kaffee machen lassen, um den Nebel in ihrem Gemüte dadurch zu zerstreuen.

LOTTCHEN. Das gute Mädchen! Wenn der Kaffee eine Arznei für die Unruhen des Herzens wäre: so würden wir wenig Gemütskrankheiten haben. Nunmehr wird sie bald empfinden, was Liebe und Freiheit ist. Das Traurige, das sich in ihrem Bezeigen meldet, scheint mir ein Beweis zu sein, daß sie ihre Freiheit nicht mehr zu beschützen weiß. Verwandeln Sie sich nunmehr nach und nach wieder in den Liebhaber, damit Julchen nicht gar zu sehr bestraft wird.

DAMIS. Diese Verwandlung wird mir sehr natürlich sein. Aber ich fürchte, wenn Julchen in Gegenwart so vieler Zeugen mir ihre Liebe wird bekräftigen sollen: so wird ihr Herz wieder scheu werden. Sie bat mich, da sie mich verließ, daß ich ihr nicht gleich nachfolgen sollte, damit ihr Lottchen nicht einige Spöttereien sagen möchte. Wie furchtsam klingt dieses!

LOTTCHEN. Ja, es heißt aber vielleicht nichts anders, wenn man es in seine Sprache übersetzt, als: Gehen Sie nicht mit mir, damit Lottchen nicht so deutlich sieht, daß ich Sie liebe. Ihre Braut scheut sich nicht vor der Liebe, sondern nur vor dem Namen derselben. Wenn sie weniger natürliche Schamhaftigkeit hätte, so würde ihre Liebe sich in einem größern Lichte sehen lassen; aber vielleicht würde sie nicht so reizend erscheinen. Vielleicht geht es mit der Zärtlichkeit eines Frauenzimmers wie mit ihren äußerlichen Reizungen, wenn sie gefallen sollen.

DAMIS. Was meinen Sie, meine liebe Jungfer Schwester, soll ich ... Aber wie? Ich nenne Sie schon Jungfer Schwester, und ich scheue mich doch zugleich, Sie deswegen um Vergebung zu bitten?

LOTTCHEN. Ich will den Fehler gleich wieder gutmachen, mein lieber Herr Bruder. Ich habe Ihnen nun nichts vorzuwerfen. Aber was wollten Sie sagen?

DAMIS. Fragen Sie mich nicht. Ich habe es wieder vergessen. Ich kann gar nicht mehr zu meinen eignen Gedanken kommen. Sie verbergen sich in die entlegenste Gegend von meiner Seele. Julchen denkt und sinnt und redt in mir. Und seitdem ich sie[401] traurig gesehen habe, habe ich große Lust, es auch zu sein. Was für ein Geheimnis hat nicht ein Herz mit dem andern! Ich sehe, daß ich glücklich bin, und sollte vergnügt sein. Ich sehe, daß mich Julchen liebt, und indem ich dieses sehe, werde ich traurig, weil sie es ist. Welche neue Entdeckung in meinem Herzen!

LOTTCHEN. Ich weiß Ihnen keinen bessern Rat zu geben als den, folgen Sie Ihrer Neigung und vertreiben Sie sich die Traurigkeit nicht, sonst werden Sie zerstreut werden. Sie wird ihres Platzes von sich selber müde werden und ihn bald dem Vergnügen von neuem einräumen.

DAMIS. Ich werde recht furchtsam. Und ich glaube, wenn ich Julchen wiedersehe, daß ich gar stumm werde.

LOTTCHEN. Das kann leicht kommen. Vielleicht geht es Julchen auch also. Ich möchte Sie beide itzt beisammensehen, ohne von Ihnen bemerkt zu werden. Sie würden beide tiefsinnig sein. Sie würden reden wollen und statt dessen seufzen. Sie würden die verräterischen Seufzer durch gleichgültige Mienen entkräften wollen und ihnen nur mehr Bedeutung geben. Sie würden einander wechselweise bitten, sich zu verlassen, und einander Gelegenheit geben, zu bleiben. Und vielleicht würde Ihre beiderseitige Wehmut zuletzt in etliche mehr als freundschaftliche Küsse ausbrechen. Aber ich höre meine Schwester kommen. Ich will Sie nicht stören. Sie geht und bleibt in der Szene versteckt stehen.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 400-402.
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