Neunter Auftritt

[428] Julchen. Damis.


JULCHEN. Wo bleibt Lottchen? Hat sie gar meine Untreue erfahren? Ich will sie sicher machen. Der Boshafte! Hörten Sie sein Bekenntnis? Wir wollten sehen, wie er sich nach diesem Briefe aufführen würde. O hätten wir diese unglückselige Entdeckung doch niemals gemacht! Du arme Schwester! Du verbindest dich mit einem Menschen, der ein böses Herz bei der Miene der Aufrichtigkeit hat.

DAMIS. Ja, es ist ein nichtswürdiger Freund, wie ich Ihnen gesagt habe. Er hat den größten Betrug begangen. Ich bitte ihn heute Vormittage, wie man einen Bruder bitten kann, daß er mir Ihre Liebe sollte gewinnen helfen. Und statt dessen bittet er Ihren Herrn Vater, unsere Verlobung noch acht Tage aufzuschieben, und will ihn bereden, als ob Sie, meine Braut, ihn selbst liebten.[428] Ist das mein Freund, dem ich mehr als einmal mein Haus und mein Vermögen angeboten habe?

JULCHEN. Mich hat er bereden wollen, daß Sie meiner Schwester gewogener wären als mir. Nunmehro weiß ich gewiß, daß es keine Verstellung gewesen. Aber meine arme Schwester wird es doch denken, weil sie ihm diese List aus gutem Herzen aufgetragen hat. Wer soll ihr ihren Irrtum entdecken? Wird sie uns hören? Und wenn sie es glaubt, überführen wir sie nicht vor dem größten Unglücke! Wie dauret sie mich!

DAMIS. Ja. Aber sie muß es doch erfahren, und wenn Sie schweigen, so rede ich.

JULCHEN. Ach, bedenken Sie doch das Elend meiner lieben Schwester! Schweigen Sie. Vielleicht ... Vielleicht ist er nicht von Natur boshaft, vielleicht hat ihn nur meine Erbschaft ...

DAMIS. Es habe ihn, was auch immer wolle, zur Untreue bewogen: so ist er in meinen Augen doch allemal weniger zu entschuldigen als ein Mensch, der den andern aus Hunger auf der Straße umbringt. Hat ihn die ausnehmende Zärtlichkeit, die ganz bezaubernde Unschuld, die edelste Freundschaft Ihrer Jungfer Schwester nicht treu und tugendhaft erhalten können: so muß es ihm nunmehr leicht sein, um eines Gewinstes willen seinen nächsten Blutsfreund umzubringen und die Religion der geringsten Wollust wegen abzuschwören.

JULCHEN. Aber ach, meine Schwester ... Tun Sie es nicht. Ich zittre ...

DAMIS. Meine Braut, Sie sind mir das Kostbarste auf der Welt. Aber ich sage Ihnen, ehe ich Lottchen so unglücklich werden lasse, sich mit einem Nichtswürdigen zu verbinden: so will ich mein Vermögen, meine Ehre und Sie selbst verlieren. Ich gehe und sage ihr alles, und wenn sie auch ohne Trost sein sollte. Mein Herr Vormund hat das Billett an Lottchen auf meine Bitte schreiben und auf die Post bringen lassen. Ihr ehrlicher Vater und der Magister, die Siegmund beide für zu einfältig gehalten, haben seine tückische Absichten zuerst gemerkt, und Ihr Herr Vater hat sie meinem Vormunde anvertraut. Dieser haßt und sieht die kleinsten Betrügereien.

JULCHEN. Ist er denn gar nicht zu entschuldigen?

DAMIS. Nein, sage ich Ihnen. Wir haben alles untersucht. Er ist ein Betrüger. Mit Bitterkeit. Ich habe in meinem Leben noch kein Tier gern umgebracht; aber diesen Mann, wenn er es leugnen[429] und Lottchen durch seine Verstellung unglücklich machen sollte, wollte ich mit Freuden umbringen. Was? Wir Männer wollen durch den häßlichsten Betrug das Frauenzimmer im Triumph aufführen, das wir durch unsere Tugend ehren sollten?

JULCHEN. Was soll aber meine Schwester mit dem Untreuen anfangen?

DAMIS. Sie soll ihn mit Verachtung bestrafen. Sie soll ihn fühlen lassen, was es heißt, ein edles Herz hintergehn.

JULCHEN. Wenn ihm aber meine Schwester verzeihen wollte. Wäre das nicht auch großmütig?

DAMIS. Sie braucht ihn nicht zu verfolgen. Sie kann alle Regungen der Rache ersticken und sich doch seiner ewig entschlagen. Er ist ein Unmensch.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 428-430.
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