Der ungeratne Sohn

[179] Ein Vater war, wie viele Väter,

Mit einem wilden Sohn geplagt.

Nichts Törichtes, nichts Kühnes ward gewagt,

Johann, sein Sohn, war allemal der Täter.

Der Vater, der kein Mittel sah,

Bei Ehren in der Stadt zu bleiben,

Schickt ihn, um ihm den Kitzel zu vertreiben,

zwei Jahre nach Amerika;

So sauer auch die liebe Mutter sah.


Allein was half's? Johann kam wieder,

Und wer war ärger als Johann?[179]

Der Vater und des Vaters Brüder

Beschlossen endlich Mann für Mann,

Daß, weil er nicht gehorchen wollte,

Johann der Trommel folgen sollte.

Der ausgelassne Sohn ward also ein Soldat,

Und dies war auch der beste Rat;

Denn was nun auch die Leute sagen,

Die diesem Stand nicht günstig sind:

So ward doch mancher Mutter Kind

Von einem Herrn oft klug geschlagen,

Der trotz der Scherpe, die er trug,

Nicht weiser war als der, den er vernünftig schlug.


Doch diese Zucht ward auch vergebens unternommen.

Johann blieb wild und ungestüm.

Der Hauptmann ließ den Vater kommen:

»Nehmt Euern Sohn zurück, ich ziehe nichts aus ihm.«

Der Vater muß ihn wieder nehmen.

Nun wird er wohl den Wildfang niemals zähmen.

Doch nein, ein Mittel half geschwind,

Und eh' vier Wochen noch vergingen,

War sein Johann fromm wie ein Kind.

Wie? ließ er ihn ins Zuchthaus bringen?

Ich dachte gar. Warum nicht lieber auf den Bau?

Er wußt' ihn besser zu bezwingen,

Er gab ihm eine böse Frau.

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 179-180.
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