Der Hund

[51] Phylax, der so manche Nacht

Haus und Hof getreu bewacht,

Und oft ganzen Diebesbanden

Durch sein Bellen widerstanden;

Phylax, dem Lips Tullian,

Der doch gut zu stehlen wußte,

Selber zweimal weichen mußte;

Diesen fiel ein Fieber an.


Alle Nachbarn gaben Rat.

Krummholzöl und Mithridat

Mußte sich der Hund bequemen

Wider Willen einzunehmen.

Selbst des Nachbar Gastwirts Müh',

Der vordem in fremden Landen

Als ein Doktor ausgestanden,

War vergebens bei dem Vieh.


Kaum erscholl die schlimme Post,

Als von ihrer Mittagskost

Alle Brüder und Bekannten,

Phylax zu besuchen, rannten.

Pantelon, sein bester Freund,

Leckt ihm an dem heißen Munde.

»O!« erseufzt er, »bittre Stunde!

O! wer hätte das gemeint!«


»Ach!« rief Phylax, »Pantelon!

Ist's nicht wahr, ich sterbe schon?

Hätt' ich nur nichts eingenommen,

Wär' ich wohl davon gekommen.

Sterb' ich Ärmster so geschwind:

O! so kannst du sicher schreien,

Daß die vielen Arzeneien

Meines Todes Quelle sind.


Wie zufrieden schlief' ich ein!

Sollt' ich nur so manches Bein,[51]

Das ich mir verscharren müssen,

Vor dem Tode noch genießen.

Dieses macht mich kummervoll,

Daß ich diesen Schatz vergessen,

Nicht vor meinem Ende fressen,

Auch nicht mit mir nehmen soll.


Liebst du mich und bist du treu,

O! so hole sie herbei;

Eines wirst du bei den Linden,

An dem Gartentore finden;

Eines, lieber Pantelon,

Hab' ich nur noch gestern morgen

In dem Winterreiß verborgen;

Aber friß mir nichts davon.«


Pantelon war fortgerannt,

Brachte treulich, was er fand;

Phylax roch, bei schwachem Mute,

Noch den Dunst von seinem Gute.

Endlich, da sein Auge bricht,

Spricht er: »Laß mir alles liegen!

Sterb' ich, so sollst du es kriegen;

Aber, Bruder, eher nicht.


Sollt' ich nur so glücklich sein

Und das schöne Schinkenbein,

Das ich – doch ich mag's nicht sagen,

Wo ich dieses hingetragen.

Werd' ich wiederum gesund;

Will ich dir, bei meinem Leben,

Auch die beste Hälfte geben;

Ja du sollst –« Hier starb der Hund.


Der Geizhals bleibt im Tode karg,

Zween Blicke wirft er auf den Sarg,

Und tausend wirft er mit Entsetzen

Nach den mit Angst verwahrten Schätzen.

O schwere Last der Eitelkeit![52]

Um schlecht zu leben, schwer zu sterben,

Sucht man sich Güter zu erwerben;

Verdient ein solches Glück wohl Neid?

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 51-53.
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