DER FELSENSTIEG · DER DIEB FUCCI · DER PHÖNIX

[51] Wenn es geschieht dass sich im jungen jahre

Der sonne haar im Wassermann erhitze

Und halb und halb schon nacht mit tag entfahre:[51]


Zu dieser zeit malt Früh-reif eine skizze

Des weissen bruders hin auf das gelände ·

Doch kurz nur dauert seiner feder spitze.


Der landmann dem das futter ging zu ende

Steht auf und schaut hinaus und sieht die auen

Ganz weiss geworden und er ringt die hände ..


Er kehrt ins haus · ratlos wie um sich schauen

Leute in not · er spricht von seinem leide

Er kommt dann wieder und schöpft neu vertrauen


Wenn er die welt sieht mit getauschtem kleide

In kurzer frist.. er greift nach seinem stecken

Und seine schafe jagt er auf die weide:


Also versezte mich Vergil in schrecken ·

Ich sah wie sorge seine stirn bedrücke ·

Und alsobald kam salbe für den flecken:


Als wir gelangten zur zerstörten brücke

Trat er zu mir so zärtlich sich bestrebend –

Dies rief ihn mir an berges fuss zurücke –[52]


Er tat die arme auf und folge gebend

Dem innern rat · sah er sich zum beginne

Die trümmer an und dann trug er mich schwebend.


Wie einer schaffend sich zugleich besinne

Der immer sorgt wie er das nächste packe:

So hob er mich auf eines felsens zinne ·


Besichtigte dann eine andre zacke

Und sagte: mach nun diese dir zunutze ·

Doch prüfe erst ob sie beim griff nicht knacke!..


Das war kein weg für einen mit kapuze

Den beide wir · er frei und ich mit schieben

Kaum konnten aufwärts steigen stutz nach stutze.


Und wenn der hang nicht minder weit umschrieben

Von diesem war als von dem andern runde:

Wenn auch nicht Er – ich wäre liegen blieben.


Da aber Malebolge nach dem munde

Der allertiefsten grube ganz sich neige:

So ist es das gesetz von jedem schlunde[53]


Dass sich ein rücken senke · einer steige.

Wir langten endlich an und sahn von oben

Dass hier der lezte felsenblock sich zeige.


So mühsam hat sich meine brust gehoben

Am ziele · dass ich nicht mehr wich vom flecke ·

Sogar mich niederliess sobald ich droben.


Der Meister sprach: nun ziemt nicht dass vom schrecke

Du schwach wirst.. in des polsterstuhls genusse

Kommt man zum ruhme nicht · noch in der decke.


Wer ohne DEN sein leben bringt zum schlusse

Lässt auf der welt von sich kein weitres zeichen

Als rauch im winde oder schaum im flusse.


Drum heb dich auf und bändige dies keichen

Mit deinem geist! der bändigt alle streiter

Wenn er dem schweren körper nicht will weichen.


Dir steht bevor ein steig auf längrer leiter ..

Dein gang hier unten reicht nicht aus zum werke.

Wenn du verstehst so helfe dies dir weiter![54]


Da stand ich auf damit er in mir merke

Mehr lebensatem als ich wirklich nährte

Und sagte: komm! ich habe mut und stärke.


Auf dem geklüft verfolgten wir die fährte

Die felsig enge war und unzugänglich

Und steiler noch als die bisher gewährte.


Ich sprach im gehn – so schien ich mir nicht bänglich –

Und eine stimm entstieg der nächsten klamme

Doch um ein wort zu bilden unzulänglich.


Ich fasste nichts · stand ich auch auf dem kamme

Des bogens der hier zwischen lag als strebe ·

Doch schien es dass den sprecher zorn entflamme.


Ich sah hinunter · doch kein aug das lebe

Kann durch das finster dringen bis zum schlunde:

Meister · sprach ich · vom andren walle hebe


Dich her! und steig mit mir hinab zum grunde.

Ich höre wol doch kann ich nichts verstehen

So wie ich schaue aber nichts erkunde.[55]


Er sprach: nicht andre antwort soll ergehen

Als die der tat.. denn ein gerecht anliegen

Muss stumm erwidert werden mit geschehen.


Wir waren an der brücke abgestiegen

Wo sie verbindet mit der achten mauer

Und dann sah ich die bolge vor mir liegen.


Ich sah darinnen schreckliches gekauer

Von schlangen · an gestalt so mannigfachen

Dass heute noch mein blut erstarrt vom schauer.


So kann nicht Lybiens wüste rühmens machen

Von dem was sie an ottern vipern schleichen

Hervorbringt und an würmern und an drachen ·


Noch sieht man schlimmres giftgeziefer streichen

Und mehr im ganzen lande der Aethiopen ..

In diesen furchtbarn knäueln · ohnegleichen


Sogar beim Roten Meere in den tropen ·

Kam eine schar nackt und entsezt gesprungen

Nichts hoffend von versteck noch Heliotropen.[56]


Die hände trugen rückwärts sie gezwungen

Von nattern die in ihren hüften stacken

Die köpfe und die schweife vorn verschlungen.


Ich sah dann eine schlange einen packen

Der uns am nächsten war und ihn durchstechen

Dort wo sich an die schulter fügt der nacken.


So schnell kann man ein a und i nicht sprechen

Wie er entbrannt' und glühte · und vernichtet

Zu lauter aschen musst er niederbrechen.


Doch kaum lag er am grund so zugerichtet

Als sich der staub von selbst zusammenschweisste

Zum gleichen der er vorher war verdichtet.


So wie bezeugt von manchem hohen geiste

Der Phönix sterbe und sich dann erneue

Wenn das fünfhundertste der jahre kreiste ..


Kein kraut kein korn das ihn als speise freue ·

Er lebt von weihrauch-träne und gewürze

Und nard und myrrhe sind ihm lezte streue ..[57]


Und so wie einer der zu boden stürze –

Er weiss nicht wie – durch böser geister klauen

Durch jene sucht die uns die freiheit kürze:


Wenn er sich dann erhebt noch ganz im grauen

Der grossen ängste die ihn überwanden

Und ringsherum blickt und erseufzt im schauen:


So war der sünder als er aufgestanden.


Hölle · XXIV. GESANG · 1–118.

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 51-58.
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