KRÖNUNG DER JUNGFRAU

[184] So wie der vogel im geliebten laube

Sizt auf dem neste seiner teuren kleinen

Zur nachtzeit die der dinge anblick raube


Der · um zu schaun nach den begehrten scheinen ·

Zu spähen nach dem futter das sie speise

(Die schwere müh ist lieb ihm für die seinen)


Der zeit voreilt auf einem höhern reise

Mit glühndem wunsche wartend auf die helle

Und ausschau hält ob sich die dämmrung weise:


So meine Herrin in aufrechter stelle

Und achtsam wandte sich nach jener breite

Wo sich die sonne zeigt mit mindrer schnelle.


Als sie so harrte mit dem blick ins weite

Erging es mir wie dem der wünsche nährte

Und durch die hoffnung sich vom drang befreite.[184]


Doch eine kurze frist nur – sag ich – währte

Mein warten und mein schaun in jene zonen

Als dort der himmel mehr und mehr sich klärte.


Die Selige sprach: Sieh dort die legionen

Von Christi siegeszuge · all die blüte

Gepflückt im umkreis dieser regionen.


Mir schien es dass ihr antlitz völlig glühte

Und ihre augen so in wonne stunden

Dass ich vergeblich mich um worte mühte.


Wie Luna in den heitren vollmondstunden

Lacht bei den ewigen nymphen die da richten

Des himmels schmuck in allen seinen runden:


So sah ich eines über tausend lichten

Als sonne deren glanz sie alle trugen

Wie ihn die unsre leiht den obren sichten.


Durch das lebendige licht hindurch entschlugen

Der leuchtenden gewalt so starke feuer

Dass meine augen sie nicht mehr ertrugen.[185]


O Selige! du führer süss und teuer ...

Sie sprach zu mir: ›Was also dich erschreckte

Ist eine kraft die niemandem geheuer.


Dort ist die weisheit und die macht die streckte

Vom himmel nach der erde hin die gänge

Und die seit grauen zeiten sehnsucht weckte.‹


Wie sich die flamme durch die wolken zwänge

Zu sehr sich dehnend für die enge klause

Und gegen ihre art nach unten dränge:


So ward mein geist nach einem solchen schmause

So weit gemacht – und wie? kann er nicht sagen –

Dass er hervorbrach aus dem eignen hause.


›Getrau die augen zu mir aufzuschlagen!

Dinge hast du gesehn durch die du mächtig

Geworden bist mein lächeln zu ertragen.‹


Wie einer dem vorkommt dass er ein nächtig

Gesicht gehabt das ihm der tag vernichtet ·

Es in den sinn zu ziehn umsonst bedächtig:[186]


Hört ich das anerbieten das verpflichtet

Zu solchem danke dass er nie erblasse

Im buch das die vergangenheit berichtet.


Und sändte Polyhymnia die masse

Klangvoller stimmen mir zu helfen heute

Die sie genährt mit ihrem süssen nasse:


Ich weiss dass dies kein tausendstel bedeute

Der wahrheit von des heiligen lächelns preise

Und wie den heiligen anblick es erfreute.


Also erzählend von dem paradeise

Muss der geweihte sang zum sprung sich heben

Wie einer der verrammt sieht seine gleise.


Doch wer bedenkt wie schweres aufgegeben

Auf schultern wurde einem erdensohne

Wird nimmer schelten wenn sie drunter beben.


Für nachen ist dies keine meereszone

Wohin die kühne planke ungestümet

Noch für den schiffer der sich selber schone. –[187]


›Warum dein glühen nur mein antlitz rühmet

So dass du dich nicht drehst zum schönen orte

Der unter Christi strahlen sich beblümet!


Dort ist die Rose die dem ewigen worte

Das fleisch verlieh und dort sind die narzissen

Bei deren duft man fand die gute pforte.‹


So sprach die Selige und vor ihrem wissen

War ich gefügig ganz und nochmals hatten

Die schwachen lider kampf mit hindernissen.


So sah mein auge überdeckt von schatten

Den sonnenstreifen der mit reiner schnelle

Einst durch die wolken fuhr auf blumenmatten:


Wie ich nun ganze schwärme sah voll helle

Umblizt von oben her mit strahlenlohen

Und mir verborgen blieb des glanzes quelle.


O gütige kraft die du so schmückst die hohen

Du schwangest dich empor dass heil geschehe

Den blicken die unmächtig noch dich flohen![188]


Der schönen Blume namen – immer flehe

Ich morgens ihn und abends an – er schmiegte

Den geist dass er ins grösste feuer sehe.


Wie sich in meinen beiden leuchten wiegte

Lebendigen sternes wesenheit und weite

Der hier besiegt wie unten er besiegte:


Da ward es oben licht von einem scheite

Das kreise um ihn schlug als ob es kröne

Und ihn umwand und schwingend ihn umreihte.


Wie süss hienieden auch gesang ertöne

Und unsre seele locken mag als freier:

Er ist wie wolke die geborsten dröhne


Verglichen mit dem sange jener leier

Die um den schönen Saphir hängt in schwebe

Der schmückt des himmels saphirblaue feier.


›Ich bin die engelsliebe und umwebe

Die hehre wonne die enthaucht dem leibe ·

Dem hause drin einst der Verheissne lebe.[189]


O Himmelsfrau um die ich wirbelnd treibe

Solang beim Sohn du weilst und höchsten dingen

Noch mehr an zier verleihst mit dem verbleibe.‹


So ging das rings herumgetragene singen

Dem ende zu · und alle andren Lichten

Liessen den namen der Maria klingen.


Der königliche mantel aller schichten

Der welt · der meist erglühende und rege

Im hauche Gottes und in seinen pflichten:


Er hatte über uns die innre hege

In solcher ferne dass von seinem scheine

Ich noch nichts sehen konnt auf Meinem stege.


Drum hatten meine augen nicht die reine

Um nachzufolgen der gekrönten flamme

Die stieg mit ihrem sprossen im vereine.


Und einem kinde gleich das nach der amme

Die arme streckt nachdem es milch empfangen:

So machte wunsch der bis nach aussen flamme[190]


Dass alle diese glänze aufwärts drangen

Mit ihrem haupt – und ihre hohe liebe

Für die Maria war mir aufgegangen:


Dann sang vor mir verweilend ihr getriebe

›Regina coeli‹ mit so süssen lauten ..

O dass davon die freude mir verbliebe.


O welche grosse segensfülle stauten

Sich diese reichsten häuser die hienieden

Als gute pflanzer ihren grund bebauten.


Hier lebt man von dem hab und gut in frieden

Das weinend man gesammelt in der frone

Zu Babylon wo man das gold gemieden.


Hier feiert unter Gottes hohem sohne

Und der Maria siege seiner schlachten

Umringt vom Alten und vom Neuen Throne


Er der die schlüssel hält zu solchen prachten.


Himmel · XXIII. Gesang.[191]

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 184-192.
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