PETRUS DE VINEA

[38] Allseitig war von klagen ein geschwirre ·

Doch sah ich keinen der hervor es brachte ·

Deswegen blieb ich stille stehn ganz irre.


Ich denke dass er dachte dass ich dachte

So viele stimmen kämen aus dem laube

Von einer schar die sich unsichtbar machte.


Der Meister sagte mir deswegen: Klaube

Ein zweiglein ab von einem solchen stamme

Dass es die meinung die du hast dir raube.


Nun strecke ich die hand hervor und kramme

Ein ästchen ab von einer grossen hecke.

Da schrie der strunk: Was machst du mir die schramme?


Darauf bekam er von dem blute flecke

Und schrie zum zweitenmal: Warum mich schinden?

Ob denn in dir kein hauch von mitleid stecke?[38]


Wir waren menschen und nun sind wir rinden ·

Und hätten seelen wir gehabt von nattern ·

Wir hätten mildre hände dürfen finden ...


Wie grünes scheit um das die flammen knattern

Am obern end · am untern tropfen hangen –

Und das erzischt von dämpfen die verflattern:


So waren aus dem riss hervorgegangen

Worte und blut.. ich liess das zweiglein fallen

Und stand dann stille wie ein mensch in bangen.


Hölle · XIII. Gesang · 22–45.

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 38-39.
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Dante. Die göttliche Komödie
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