SORDELL · DAS TAL DER BLUMEN

[84] Nachdem die ehrbar freudigen grüsse kamen

Zum zweit- und dritten male · trat der schatten

Zurück und sagte: Nennt mir euren namen![84]


›Eh noch die würdigen seelen hoffnung hatten

Auf diesem berg zu ziehn nach ihrem glücke

Liess Oktavianus mein gebein bestatten.


Ich bin Vergil · nur durch die eine tücke

Verdammt dass ich den Glauben nicht gesehen‹

So gab darauf mein führer ihm zurücke.


So wie es einem geht wenn vor ihm stehen

Plötzliche dinge die er staunend schaue ·

Er glaubt und nicht – kann es · kanns nicht geschehen?


So schien mir Der.. er senkte seine braue ·

In demut wandt er wieder sich an diesen ·

Umschlang ihn dort wo sichs der mindre traue.


O der Lateiner ruhm der du gewiesen ·

Sprach er · was kraft in unsrer sprache wohne ·

Als ewige zier du unsres lands gepriesen!


Darf ich dir nahn aus gnade? mir zum lohne?

Sag mir · sofern ich wert bin deiner worte ·

Entsteigst der hölle du und welcher zone?[85]


›Durch des schmerzvollen reiches alle orte ·

Gab er zur antwort · bin ich her gekommen ·

Aus himmels kraft komm ich – sie wies die pforte.


Durch tun nicht · durch nicht-tun ward mir genommen

Das hohe licht zu sehn das dir soll scheinen

Von dem die kunde ich zu spät bekommen.


Ein platz ist drunten · traurig nicht durch peinen

Nur durch das blosse dunkel · wo die klage

Nur wie ein seufzen tönt nicht wie ein weinen.


Ich bin dort in unschuldiger kinder lage:

Sie von dem menschenfehle noch nicht freie

Da tod zu früh sie traf mit seinem schlage.


Ich bin bei denen die versäumt die weihe

Der drei erz-tugenden · doch ohne sünde

Die andern sahn und übten nach der reihe ..


Wenn du es aber weisst und kannst · so künde

Wo bald den weg wir finden der uns weite

Des Fegefeuers eigentliche schlünde.‹[86]


Nicht feste stelle ist die mir bereite ·

Sprach er · ich mag hinauf und seitlich schwenken ..

Soweit ich kann · biet ich mich zum geleite.


Doch siehst du dort den tag bereits sich senken ·

Bei nacht kann man nicht aufwärts gehn und gerne

Möcht ich an einen schönen rast-ort denken.


Seelen sind hier zur rechten · etwas ferne ..

Verlangst du dass ich sie dir zeigen möge?

Es wär ein glück dass man sie kennen lerne.


›Wie ist dies? war die antwort · wer nun zöge

Aufwärts bei nacht · wird er von höherem munde

Gehemmt? ist es weil er es nicht vermöge?‹


Der freund Sordell · den finger auf dem grunde

Hinziehend sprach: Sieh über diesen streifen

Kämst du nicht weiter nach der sonne schwunde.


Nicht dass ein andres ding beim fürderschweifen

Als nur das nächtige dunkel dich beschwere ..

Und das nicht-können lässt den wunsch ersteifen.[87]


Wol ging' es an dass man zurück dann kehre

Und wandernd ringsum an dem abhang taste

Solang der horizont den tag verwehre.


Da sprach mein Herr den beinah staunen fasste:

So führ uns hin denn · wo nach deinen worten

Es möglich ist dass man erfreulich raste ...


Wir hatten kurz uns nur entfernt von dorten

Als ich vor mir den berg sah offenstehen

So wie sich täler öffnen allerorten.


Dorthin · so sprach der schatten · lasst uns gehen

Wo sich die höhe senkt zu einem schachte

Und da dem neuen tag entgegensehen!..


Zuweilen steil zuweilen eben brachte

Gekrümmter pfad zum rande einer weide

Dort wo der saum sich mehr als halb verflachte.


Gediegnes gold und silber · scharlach · kreide ·

Indigoholz mit leuchtend heitrem scheine ·

Frischer smaragd wenn man ihn eben schneide:[88]


Vor blumen und vor kraut an diesem raine

Wär alles dieses ein der farbe bares

Wie bar erscheint vorm grösseren das kleine.


Jedoch nicht einzig ein gemälde war es:

Hier schuf aus süssigkeit von tausend düften

Natur ein unbekanntes · unsagbares.


Fegefeuer · VII. Gesang · 1–81.

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 84-89.
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