I ERKENNTNIS

[107] Es quellen die bäume in sommerahnung.

Im wogengehöhlten bette rinnen

Nur schmale güsse auf schlängelndem pfade.

Hier stürzen im lauf sie von felsen sich nieder

Dort einen sie sich in strudelndem bad.

Am ufer jugendliche glieder sich dehnen

Jungfräuliche blumen danach schmachten

Von ihnen geknickt und getötet zu werden.

Das haupt des efeben berührt den boden

Nur leise stüzt es sein ruhender arm.

Sein auge folgt müde dem kieselstein[107]

Den reiner beständiger fluten spiel

In leuchtenden alabaster schleift.

Das luftmeer über der dämmerzone

Wo tod und keimbegierde ringen

Zu ruh und trägem schlummer stimmt.


Mann des glückes! bereits verzweifelnd

Fandest du in dem weltengetöse

Die Erträumte die Göttliche.

Niederem kreis entrissest du sie.

Willig in diese einsamkeit

Die von wonnen übergossen

Und durch fehldinge heilig ist:

Zog sie mit dir vereinigt aus

Ohne orakel und fluchesgeleit.

In deiner hütte wo dich kein wesen

Lästigen ansinnen überliefert

Kein profanes auge dich reizt

Hast du sie ganz – von dir nur geschaut –

Dir nur blüht sie und lächelt sie zu.[108]


O herber schmerz! grausame enttäuschung!

Im paradies das zu pflanzen ich glaubte

Erwächst mir unkraut und dornen-gestrüpp.

Warum von allem anbeginn schon

Wo lusterwartung das sinnen ersticken

Und grübelnde blicke blenden sollte

Ist mir das widrige denkbild erschienen

Das niemals mir zu verwischen gelang?

Wie kann ich frieden und lust mich ergeben

Wenn unwissend noch zu erfahren ich dürste

Ob sie als reine priesterin kam?

Denn unerbittlich mit göttinneneifer

Verwerf ich sie wenn vor anderem altar

Sie opfernd je auf den knieen schon lag.


Leise kommt sie den weg erratend

Gierig nach seiner nähe zauber

Ungesehen von ihm sich vermeinend

Der sie gar wol sah und nicht benötet

Gleichgültig gebaren zu heucheln.

Unschuldig kniet sie zur seite ihm nieder

Streift seine haare in flüchtigem kuss.[109]


Er emporfahrend: rief ich dich weib?

Nahe dich nur wenn ich deiner bedarf!..

Sie erhebt sich – ohne erwidrung –

Denn wozu? wenn der lange blick

Von verzweiflung vorwurf und scham

Ihn nicht rührt. Sie geht hinweg

Schmerzhafte mutter aus freudennot.


Indessen ich in qualen mich winde

Will leichter mühe sie mich erobern ..

Sie stellt sich ob meines zornes betrübt

Vielleicht auch ist sies weil ihre betörung

An mir nicht so leicht wie an andern gelingt.

Ja grade die zärtlich schmeichelnden weisen

Die ihre schwüre bekräftigen sollen

Mit ihrer feinheit und kunst mir verraten:

Sie wurde durch die probe erfahren ..

Nur gaukelspiel ist ihre kindlichkeit.


Und immer noch säum ich .. ein augenblick[110]

Vermöchte mich zu versichern .. weshalb nicht

Erfass ich den schleier mit forschendem finger?

Ich fühle dass ach! noch ein leztes geflacker

Von sterbender hoffnung mir bleibt.

Ich fürchte den grossen tag zu beschwören

Der meinen urteilspruch mir bringt.

Ich könnte wol sagen: Unheilvolle

Jezt bin ich gewiss dass du mich belogst ..

Verachtung dir und verstossung!

Doch könnte ich sagen: ich quälte dich

Beargwöhnte dich die du wahr gewesen?

Ich brüter von schimpflichen gedanken

Bezweifelte trotz deiner küsse und tränen

Dich aller reine und heiligkeit quell?


Ein tag beginnt sein licht zu verteilen.

Sie treten beide über die schwelle

Vorn ersten vollen scheine geblendet

Verändert doch zwiespältiger art:

Das weib in himmlischem glanz erstrahlt

Er niedergedrückt und verstört.

Jezt will er gehen .. ein weibliches wissen[111]

Befiehlt ihr ihn nicht zurückzuhalten

(Nach ungewohntem ist einsamkeit not

Noch flösst das so neue ihm schrecken ein)

Sie lässt ihn .. schlecht ihren jubel verhehlend

Und schlecht – unselige! deutung findend

Für seine miene nach solchem genusse.

Sie schaut ihm lange ahnungslos nach

Sie süsser und herrlicher jezt.

Damit zu voller schönheit und frische

Sie wunderbar sich entfalten konnte

Bedurfte sie nur der küsse regen

Und seliger stunden weckenden tau.


Dem wald entgegen durcheilt er die fluren

Das herz voll gift und reuezorn:

Nun Sinnloser hast du gewissheit!

Verderbliches wissen! lästrische probe!

Ich war verbrecher vom augenblick an

Da ich zum verein an die seite ihr trat

Mit einer schandtat kauft ich die lösung.

Ach endlich glaubte sie mich besiegt

Geheilt von dem übel das sie am meisten[112]

Zerquälen musste .. so wonne-erfüllt

Bedünkten sie die umarmungen echt

Die tierische zuckungen übersüssten

Die liebeseingabe sie geglaubt.


Da ist der sturzbach .. dunkle wellen

Von des gebirges wettern genährt

Wälzen sich wo vor kurzem noch friedlich

Silberne linien und lachen glissen.

Wie er hässlich mein bild mir zurückwirft

Fluch mir verheissend wie alle es tun

Blumen und fluren und bergesgipfel.

Deine klaren wasser bezeugten

Meine zager- und dulderstunden.

Düstere wogen die heulen und schäumen

Machen mir zeichen: sie ziehn mich hinab

Dass ich dort meine verdammnis beginne.

Quelle:
Stefan George: Die Fibel. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 1, Berlin 1927, S. 107-113.
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