CII

[108] Stark ist mein lieben – schwach nur in erscheinung.

Nicht minder lieb ich wenn sichs minder zeigt.

Die lieb ist kaufgut deren reiche meinung

Beständig aus des eigners munde steigt.


Damals war lenz und unsre liebe grün ·

Da grüsst ich täglich sie mit meinem sang.

So schlägt die nachtigall in sommers blühn

Und schweigt den ton in reifrer tage gang.


Nicht dass der sommer minder schön nun sei

Da nicht ihr klaglied mehr bricht durch die nacht:

Doch beugt den busch die wilde melodei ·

Und süsses lässt durch brauch die holde pracht.


Darum · gleich ihr · verstumme ich so lang

Dass du nicht müde wirst durch meinen sang.[108]


Quelle:
George, Stefan: Shakespeare. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 12, Berlin 1931, S. 108-109.
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