VORREDE ZU MAXIMIN


[73] Wir hatten eben die mittägliche höhe unsres lebens überschritten und wir bangten beim blick in unsre nächste zukunft. Wir gingen einer entstellten und erkalteten menschheit entgegen die sich mit ihren vielspältigen errungenschaften und verästelten empfindungen brüstete indessen die grosse tat und die grosse liebe am entschwinden war. Massen schufen gebot und regel und erstickten mit dem lug flacher auslegung die zungen der Rufer die ehmals der mord gelinder beseitigte: unreine hände wühlten in einem haufen von flitterstücken worin die wahren edelsteine wahllos geworfen wurden · zerlegender dünkel verdeckte ratlose ohnmacht und dreistes lachen verkündete den untergang des Heiligtumes. Wir waren reif genug um uns nicht mehr gegen die schicksalhafte wiederkehr der notwendigen leiden aufzulehnen: jezt aber schien uns eine seuche zu wüten vor der kein mittel hälfe und die mit der entseelung dieses ganzen geschlechtes endigte. Schon wandten sich einige von uns abseits nach den dunklen bezirken und priesen den wahnsinn selig – andre verschlossen sich in ihre hütten voll trauer oder hass: als die plötzliche ankunft eines einzigen menschen in der allgemeinen zerrüttung uns das vertrauen wiedergab und uns mit dem lichte neuer verheissungen erfüllte.

Als wir Maximin zum erstenmal in unsrer Stadt begegneten stand er noch in den knabenjahren. Er kam uns[74] aus dem siegesbogen geschritten mit der unbeirrbaren festigkeit des jungen fechters und den mienen feldherrlicher obergewalt jedoch gemildert durch jene regbarkeit und schwermut die erst durch jahrhunderte christlicher bildung in die angesichter des volkes gekommen war. Wir erkannten in ihm den darsteller einer allmächtigen jugend wie wir sie erträumt hatten · mit ihrer ungebrochenen fülle und lauterkeit die auch heut noch hügel versezt und trocknen fusses über die wasser schreitet – einer jugend die unser erbe nehmen und neue reiche erobern könnte. Wir hatten allzuviel gehört von der weisheit die das lezte rätsel zu lösen wähnte · allzuviel gekostet von der buntheit der sich überstürzenden erscheinungen .. die unermessliche fracht äusserer möglichkeiten hatte dem gehalt nichts zugefügt · das zu schillernde spiel aber die sinne abgestumpft und die spannungen gelähmt: was uns not tat war Einer der von den einfachen geschehnissen ergriffen wurde und uns die dinge zeigte wie die augen der götter sie sehen.

An der helle die uns überströmte merkten wir dass er gefunden war. Tage um tage folgten wir ihm und blieben im banne seiner ausstrahlung ehe wir mit ihm zu reden wagten – von dann ab begleitete er uns von selber auf unsren pfaden und ohne staunen als gehorche er nur einem gesetz. Je näher wir ihn kennenlernten[75] desto mehr erinnerte er uns an unser denkbild und ebenso verehrten wir den umfang seines ursprünglichen geistes und die regungen seiner heldenhaften seele wie deren versinnlichung in gestalt und gebärde und sprache. Zu andren zeiten erschien er uns als der märchenhafte waise dem die verwunschene unke am teich seine abstammung verraten und ihn zum berger der goldenen krone bestellte. Wir ahnten in ihm ein fremdes das uns nie angehören würde und beugten uns vor dem unfassbaren los das ihn zu einem uns unbekannten ziele führte. Nur manchmal erschreckte bei uns nötig dünkenden fragen eine unheimliche ferne seines blickes · als ob die antwort nicht hier sondern erst auf einem anderen gestirn gegeben werden könne. Uns allen haftete ein schaden an von der fieberluft der sümpfe die wir durchwaten mussten. Wir waren die sieghaften krieger des auszuges: er war zum herrscher erkoren. Er besass alle unsre feinen werkzeuge · aber er hatte sie erworben auf dem gesunden und rechtmässigen weg. Dabei entbehrte er jeglichen anflugs von unbescheidener frühreife und hielt sich in den natürlichen grenzen seines alters. Anmutig und sicher wie jede wendung seines kopfes und jeder griff seiner hände war auch die art wie er mit allen umging .. er bedurfte keiner absonderung von den Barbaren wie wir in früheren jahren · er war zu rein als dass eine berührung[76] ihn hätte beflecken · zu abseits als dass eine nähe ihn hätte treffen können .. er trug sich mit dem unbewussten stolz derer die nie geleugnet oder gedient und mit der unnachahmlichen würde derer die viel gebetet haben. Sein wesen bewegte sogar die unempfindlichen leute des volkes: sie warteten die stunde ab da er vorüberkam um ihn im nu zu betrachten oder seine stimme zu hören. Diese stimme war besonders rührend – am mächtigsten wenn er lobte oder verteidigte oder uns aus den dichtern las und uns überraschte mit einem neuen zauber des tönenden. Dann bezog sich die leichte bräunung seiner haut mit purpur und seine blicke leuchteten so dass die unsren sich niedersenkten. Aber auch ohne dass er sprach und tat: seine blosse anwesenheit im raum genügte um bei allen das gefühl von leibhaftem duft und wärme zu erwecken. Willig gaben wir uns der verwandelnden kraft hin die nur anzuhauchen oder anzurühren braucht um den alltäglichsten umgebungen einen jungfräulichen paradiesischen schimmer zu spenden.

Die mitbürtigen die ihn nicht sahen und die späteren werden nicht begreifen wie von solcher jugend uns solche offenbarung zuteil wurde. Denn so sehr die zartheit und seherische pracht seiner hinterlassenen verse als bruchstücke eines eben beginnenden werkes jedes uns gültige maass übersteigt: er selber lieh ihnen[77] keine besondere bedeutung und das tiefste sei nes wirkens wird erst sichtbar aus dem was unsren geistern durch die kommunion mit seinem geiste hervorzubringen vielleicht vergönnt ist. Allein wir wissen dass nur greisenhafte zeitalter in jugend ausschliesslich vorstufe und zurichtung · niemals gipfel und vollendung sehen – dass mehr in ihrer gestalt als in ihren worten und taten die überdauernde macht der Hehren und Helden liegt und aller Lenzbegnadeten die nur eine weile über die sommerwiese schritten am waldesrand verbluteten oder in dunkler welle versanken um nach oben entrückt zu werden und unvergänglichen namens über allen geschlechtern zu thronen. Wir wissen dass die ungeheuren fahrten die das aussehn unsrer flächen veränderten im hirn des schülers Alexander geplant wurden · dass der zwölfjährige sohn aus Galiläa die schriftgelehrten der hauptstadt unterwies: der herrscher des längsten weltreiches unsrer überlieferung nicht als dreissiger sondern als jüngling auf seiner blumigen bahn die ewigen zeichen fand und als jüngling den tod erlitt.

Das ganze getriebe unsrer gedanken und handlungen erfuhr eine verschiebung seitdem dieser wahrhaft Göttliche in unsre kreise getreten war. Die knechtende gegenwart verlor ihr alleinrecht seitdem sie sich einer anderen richte zu bequemen hatte. In uns kehrte die ruhe wieder die jeden seinen mittelpunkt finden liess[78] und der mut die verworrenen bürden abzuwerfen und zu versenken im einheitlichen meer. Wir fühlten wie geringfügig alle streite der länder · alle leiden der kasten werden vorm dämmerschauer der grossen erneuungstage: wie alle brennenden fragen der gesellschaften in wesenlose finsternis verblassen wenn nach jeder ewigkeit den irdischen sich ein erlöser offenbart. Keiner wird dann mehr das haupt schütteln über eigensüchtige abschliessung die sich um das weh der mitbrüder nicht kümmere: denn der ist der grösste woltäter für alle der seine eigne schönheit bis zum wunder vervollkommnet.

Maximin hat nur kurz unter uns gelebt. Gemäss einem frühen vertrag den er geschlossen wurde er auf einen andren stern gehoben ehe seine göttlichkeit unsresgleichen geworden war. Er zog dem farbigen mannigfachen geschicke des glorreichen sterblings das erhabne stille walten der Himmlischen vor. Schon seine kinderjahre waren angefüllt mit sprengenden jenseitsgefühlen mit dem kampf wider den Unnennbaren. Zu ihm wandte er sich als dem Einzigen mit dem sich zu messen er für wert hielt · ihn bat er um prüfungen und aufgaben und flehte als lohn in seinen sehnsüchtigen nächten um das schauen des heiligen antlitzes. Als er erfahren hatte dass Gott sich solchermaassen nicht eröffnen könne bot er ihm diesen bund an: so zeig dich[79] mir im besten deiner sichtbaren schöpfung! gib mir Leda die geliebte! gib mir den grossen menschen den Meister! und wenn es wahr ist dass hier jeder bau fällt · jede flamme lischt · jede blume welkt: so lass mich einmal auf deine höhe treten und dann von deinem adler schnell entrissen werden!

Und Maximin ging im rauschenden frühling an der hand der geliebten durch die gärten · die betäubenden blüten schwellten sein herz von dank und lust und er sank nieder vor dem kinde das für ihn geschaffen war und das er als engel im eignen spiegel sah. In dieser frist seines vollen erglühens durften wir ihm den hintergrund bereiten · wir deuteten ihm die schauer des erdenruhms an und machten ihn zum heimlichen könig unsrer feiertage. Dies aber war Maximins stolzester abend als er unter langen gesprächen mit dem Meister durch die halbentschlafnen fluren gegangen war und dieser sagte während sich hinter dem schloss eine weinrote wolke erhob: Mein Maximin · was du mir entgelten wolltest ist reichlich zurückgegeben. Mit Einem satze hast du ein quälendes geheimnis gelöst zu dem kein buch und keine rede mir den schlüssel brachte: du hast über grosse eisige flächen nun ein gleichmässiges und wärmendes licht verbreitet. Ich entlasse dich als schüler · nimm mich zum freund! denn immer bleib ich ein teil von dir wie du ein teil von mir. Maximin hing sich in seligkeit[80] an den Meister bevor er antwortete: ich weiss nicht ob ich diese wesen je werde verstehen lernen die aus ihrem wohnsitz sich eine hölle bauen und darüber sich paradiese erfinden .. soweit mein auge reicht seh ich nur glanz · ich habe die ganze brust voll glück und über jedes ende hinaus winkt mir mit goldnen flügeln unsterblichkeit.

Nach diesen tagen der entzückung ging er von einem fiebertraum in den tod – so schnell dass wir nur auf ein gewohnes grab starren konnten · und nicht glauben dass es ihn berge. Wir stürzten nieder in der dumpfen verzweiflung der zurückgelassenen gemeinde · wir wanden uns in sinnlosem schmerz dass wir niemals wieder diese hände berühren dass uns niemals wieder diese lippen küssen dürften. Da drang seine lebendige stimme in uns und belehrte uns über unsre torheit die ihn hier noch zwingen wollte und über den ehernen fug dass in oberstem adel die notwendigkeit der frühen auffahrt liege. Damit gebot er schweigen unsren selbsüchtigen tränen und seufzern und erweckte uns für das neue dasein das wir nun mit ihm beginnen sollten. So steht er vor uns wie wir zulezt ihn sahen: nicht in der eisigen unerbittlichen hoheit des todes sondern in der siegprangenden glorie des festes · geschmückt und mit dem blumenkranz im haar · kein abbild einsiedlerischen duldenden verzichtes sondern der lächelnden und blühenden[81] schönheit. Wir können nun gierig nach leidenschaftlichen verehrungen in unsren weiheräumen seine säule aufstellen uns vor ihm niederwerfen und ihm huldigen woran die menschliche scheu uns gehindert hatte als er noch unter uns war.[82]

Quelle:
Stefan George: Tage und Taten. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 17, Berlin 1933, S. 73-83.
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