[31] Wie · Liebe · soll man dich verstehn?
Der freude sohn gezeugt durchs leid!
Willst du gesichtlos sehn?
Willst du geschlechtlos gehn
Als knab oder maid?
Von lippen seltsam träumt ich da ·
Von wangen wo zweideutig blut
Gleich einer rose sah ·
Gleich einer rose – ja –
Die knospend ruht.
Welch land erzog dich? welches moos
Verbarg dich blume wundersam?
O liebes-doppelros –
Lockst tauben mit gekos
Zu blum und stamm![32]
Ich mag nicht küssen dass mein mund
Nicht härter als ein hauch dir droht ·
Dein süsses leben wund ·
Dein süsses laub zu grund
Fällt blutig tot.
Zeig deinen hals wie glanz der firnen
Und deiner lippen taubenpaar!
Sag: Venus hat nicht dirnen
Nicht frauenlockenstirnen
In ihrer schar.
Süss flache brust · haupt dichtgehaart ·
Sanft grade hüfte · schlanker fuss ·
Jungfräulich fremde art –
Sind sie nicht allzu zart
Zum liebesgruss?
Wie grüsst man dich? welch neuer nam –
Der alle rührte – rührt dich weib ·
Dich taub für liebe und scham ·
Die Liebes-schwester kam
Aus gleichem leib?[33]
O lieb · des mädchens mund ist kalt
Und einfach rot ihr busen spriesst ·
Ihr haar ist gold und smalt
Das immer gleicherfalt
Ihr haupt umschliesst.
Doch ist dein mund voll feuers und weins –
Ich küsse deine brache brust ...
So lehnt mein herz an deins ·
So lehnt dein haupt an meins
Zu meiner lust!
Die schlange sizt in deinem haar ·
In aller locken welle und strich
Und deines busens blume gar!
Dein mund zu hold fürwahr
Für kuss und stich ...
Mein arm umhüllt dein antlitz gut ·
Mein mund brennt auf dir wie ein strahl ·
Und wo mein kuss geruht
Springt blumengleich dein blut
Zum kusses-mal.[34]
Gift das in solcher süsse schleicht!
O sterbensmüder taubengruss!
Ihr flügel ist zu leicht
Und dem des panthers gleicht
Der liebe fuss.
Buchempfehlung
Als Blaise Pascal stirbt hinterlässt er rund 1000 ungeordnete Zettel, die er in den letzten Jahren vor seinem frühen Tode als Skizze für ein großes Werk zur Verteidigung des christlichen Glaubens angelegt hatte. In akribischer Feinarbeit wurde aus den nachgelassenen Fragmenten 1670 die sogenannte Port-Royal-Ausgabe, die 1710 erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840.
246 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro