MEIN HAUS
II

[88] Die stille die ich fühle wenn der abend

Um mich mein haus und stille dünen steht

Und das getick der hänguhr lauter geht –

Dringt in mich · heller meinen geist begabend.


Die stimme meines geists tickt ungestört

Gleich eines wassers brodelndem gesiede ·

Gleich dieses nimmermüden plaudrers liede

Bewegt und spricht was tief in mir sich hört.


Dichter! das Sein ist schön – doch merk aufs Werden!

In dir ist alles was du rings begehrt.

Der schatz der sich in einsamkeit vermehrt

Soll seiner zeit vor andren sichtbar werden.


Was deine zelle sieht beim gelben licht

Wird einmal sich in offner sonne zeigen. –

Das haupt · gebogen auf vermorschten zweigen

Verliert damit das frohe leben nicht.[89]


Wenn deine stimmen aus den toten sprechen ·

Wenn dein Selbst lauschend einem toten gleicht:

Schrick dann nicht sehr wenn · so die nachnacht weicht ·

Ein lebensschrei aus deinem mund wird brechen.[90]


III

Mein land hat manche tage graue luft ·

Am fenster seh ich wie der nebel schwimme –

Aus ihrem dampf hör ich der wogen stimme ·

Um nahen dorfes bäume braut ein duft.


Dann hat in mir der nebel sich gehoben:

Es recken formen trüb und ungestalt

Das haupt empor und eine see träg wallt –

Aus tiefen höre ich ein dumpfes toben.


Dann ist in mir des volkes seel erregt

Das – stets mit leibes-aug durch nebel staunend –

Verkündigung aus seelennebeln raunend

Im geistes-auge festhält unbewegt ·


Das nie im blauen All der klaren leiber

Der Gottes-schöpfung klaren gang erkennt –

Doch stets aus nebel der sich ständig trennt

Sein fischervolk und schiff ins meer sah treiben.[91]


Die sonne hob sich träg durch dünste hin

Die sie zerriss – die flotte in goldnem meer

Zog längs der glut bis alles um sie her

Dem der es sah gross und verherrlicht schien.


So sah mein volk: so sieht sein sohn nach jahren.

Das ist die schönheit die er in sich liebt:

Ein goldnes land das sich aus nebeln schiebt ·

Ein goldner sang aus dröhnen dunkler baren.

Quelle:
George, Stefan: Zeitgenössische Dichter. Erster Teil, Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 15, Berlin 1929, S. 88-92.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon