DRITTE FOLGE · ERSTES HEFT · 1896

[13] Müssten wir beim beginn unseres fünften jahres nachdem werke von reicher mannigfaltigkeit für uns gesprochen haben noch einmal mit dem bescheid vortreten WELCHE kunst denn in diesen blättern dargestellt sei, wenn nicht einige der besseren schriftkundigen sich immer wieder gemüssigt sähen uns etwas wie eine scheu vor dem wirklichen und eine flucht in schönere vorzeiten als losung unterzuschieben! zu dieser oberflächlichen bemerkung wurden sie wol dadurch verleitet dass manche unserer künstler sich gelegentlich aus einer ferne und einer vergangenheit die sinnbilder zur wiedergabe ihrer stimmung holten.

Wie nun gar häufig, vornehmlich in eben erscheinenden erzeugnissen, das schildern von gegenwart und wirklichkeit diesen gerade so wenig entspricht als losestes träumen, so rückt andrerseits jede zeit oder jeder geist indem er ferne und vergangenheit nach eigner: nach seiner weise gestaltet ins reich des nahen persönlichen und heutigen. wesentlich ist die künstlerische umformung eines lebens – welches lebens? ist vorerst belanglos.

Wenn nun solche die sich berufen glauben eine reinere sowol wiedererweckte als neugeborene kunstauffassung zu geltung zu bringen sich mit einer halbschlächtigen sachführung begnügen, beständig vom zipfel statt vom gewande d.h. vom allernichtigsten nie aber vom allerwichtigsten handeln und unbestrittene errungenschaften mit ohnmächtigen bemühungen in einem atem nennen, können sie der ganzen entwicklung unserer dichtung und unseres schreibtumes zum hemmnis werden. wie sehr diese beiden aber der pflege und entfaltung bedürfen das weiss jeder der ihren heutigen zustand der welkheit mit ihrer eignen ehemaligen oder mit der fremden augenblicklichen blüte vergleicht.

Einfach liegt was wir teils erstrebten teils verewigten: eine kunst frei von jedem dienst: über dem leben nachdem sie das leben durchdrungen hat: die nach dem Zarathustraweisen zur höchsten aufgabe[13] des lebens werden kann: die nach dem unsterblichen Meister des Titan sogar im gewaltigen und schrecklichen ›nicht umwölken und verdunkeln sondern erheitern und erhellen‹ soll: eine kunst aus der anschauungsfreude aus rausch und klang und sonne.


NACHRICHTEN

Unseren mitgliedern gegenüber bleibt uns noch zu reden von einer bevorstehenden erweiterung unsrer hefte ohne abänderung der verbreitungsart, von einer erfreulichen zunahme unsres anhanges vorzüglich seitens der bildenden künstler, von gewichtigen anerkennungen vorzüglich seitens der stammverwandten nord- und niederländischen kunst-richter, schliesslich auch von anzeichen als ob bei uns der ›höhere stil und der feinere ton‹ in dichtung und rede allgemein ersehnt werde: hörten wir doch kürzlich von alten heiligen lehrkanzeln herab mit einem hinweis auf unsre neuen bestrebungen eine bedeutsame aufmunterung die gesetze der verfeinerten rede zu erforschen. auch geht das gerücht dass der unsrigen sehr ähnliche zeitschriften aufgetaucht wären oder bald auftauchen würden. doch was bis jezt an dichterischen werken aus weiteren kreisen auf uns kommt, ist allüberall ein so kindliches spiel oder ein so barbarisches stammeln, was (auch da wo unsre blätter gelesen werden) von verbreitetsten veröffentlichungen über dichtung sich vernehmen lässt entbehrt so sehr des verständnisses für deren einfachste gesetze und klarste ziele dass nicht aus der mangelhaften verbreitung unsres unternehmens die geringe zahl unsrer anhänger abgeleitet werden darf. nur ganz langsam können wir dahin wirken dass die laue teilnahme welche die ernste kunst und dichtung in diesen tagen hierorts findet wärmer und tiefer werde.[14]

Quelle:
Einleitungen und Merksprüche der Blätter für die Kunst. Düsseldorf, München 1964, S. 13-15.
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