ÜBER DAS FESTSTEHENDE UND DIE DENKFORMEN

[52] Es sind anzeichen vorhanden dass unser denken nicht in der weise weiter kommt dass es immer verwickeltere fragen stellt und zu lösen sucht · sondern im hinblick auf das Feststehende derart gesundet dass es gewisse dinge nicht mehr einzubeziehen wünscht noch vermag.


DAS GÖTTLICHE

Die gewährleistung für den bestand des menschtumes (sowie jeder formierten natur) ist das Göttliche im menschen: alles fruchtbare des menschen kommt aus der pflege dieses Göttlichen. Die grosse menschheit · die herde · hat es in sich in der zweiten · abgeleiteten art · als funken der immer wieder entfacht werden muss glimmt und aufloht und strichweise erlischt: im allgemeinen neigt sie seit uranbeginn zur gleichen roheit · niedrigkeit und stumpfheit. Um diesen funken anzufachen erstehen die Schöpfer. Die Schöpfer haben das Göttliche in der ersten unmittelbaren art: sie sind urtypen und ob man sagt · sie tragen es in sich oder ein gott hat es ihnen eingegeben ist eine blosse denkform – wie das setzen eines hervorrufers hinter den dingen immer nur ein hinausrücken der grenze ist. Die Schöpfer müssen das Göttliche immer wieder neu gebären · sie geben es in der aufnehmbaren form den Hirten und diese geben es in der aufnehmbaren form der herde. Die zeiten wo die Hirten gut sind und die Hirten von der herde gehört werden nennt man die guten zeiten der menschheit. Kein Schöpfer ist so gross dass das von ihm gebrachte Göttliche für immer wirksam wäre wie es auch nie ein gleiches Göttliches für alle stufen gibt. Für zeiten die das Göttliche im menschen nicht erleben ist Gott eine blosse denkform.


DER HEILAND

Als Jesus Christus aufgetreten war erklärten die zustehenden obrigkeiten · er ist ein neurer der gefährlich werden kann und den es frommt aus dem weg zu räumen. Die gemässigten freidenkenden schriftgelehrten sagten · er ist ein essenischer schwärmer auf eigentümlich[53] ich-flüchtiger grundlage dessen gedanken sich bald klären werden oder in nichts zerfallen. Eine arme rotte von begeisterten aber sagte: du bist Christus der sohn Gottes. Die zeit hat die obrigkeit erwiesen als die stumpfsinnige gewalt die sie meist ist · die freidenkende schriftgelehrtheit · auch wenn sie recht hat · als das klägliche geschwätz das sie meist ist · die meinung der armen begeisterten aber ist die von jahrtausenden geworden: du bist Christus der sohn Gottes.

Unsere väter erklärten · Christus wollen wir anerkennen als den höchsten vertreter des menschtumes und ihm jedes menschliche lob spenden · aber dieses opfer können wir nicht bringen: anzuerkennen dass er Gott sei. Für uns von heute aber liegt das unbegreifliche darin wie ein mensch sich über die herde zu einer solchen höhe erheben konnte: der schritt von dem herdenwesen zu dem höhenwesen ist für uns der unendlich grosse · ein winzig kleiner ist uns der von dem höhenmenschen zum Gott. Drum ist es für uns kein opfer und kein zugeständnis wenn wir mit den jüngern ausrufen: du bist Gottes Sohn · du bist Gott.


DAS MODERNE

Wenn heute der mensch zu machen gelernt hat dass ein tisch sich vom fussboden erhebt und aufwärts fliegt so sind damit alle errungenschaften der modernen sachwissenschaft überflüssig geworden und die grundfesten der ganzen modernen menschheit erschüttert. Und dennoch sind solche hexereien von denen der modernen wissenschaft nicht im grund verschieden · da sie nur andre kräfte zu ganz demselben zweck benutzen. Wenn die menschheit oder wenigstens die weisse rasse willens ist auf ihre Homer Äschylus Sophokles Plato Praxiteles Phidias auf ihre Tizian Michelangelo auf ihre Dante Shakespeare Goethe auf ihre Alexander Caesar Napoleon zu verzichten · warum sollte man zweifeln dass sie dafür dinge eintauschen kann denen gegenüber das oben angeführte weltenerschütternde kunststück noch ein geringes ist? Es gibt aber eine welt für die es gleichgültig ist ob ein schiff fliegt oder ob ein tisch fliegt. Gegenüber diesen unbedeutenderen fragen tut sich die grosse frage auf: Stehen wir vorm untergang des bis heute gültigen menschtumes · des tragischen · des heldisch gehobenen menschtumes?[54]

Quelle:
Einleitungen und Merksprüche der Blätter für die Kunst. Düsseldorf, München 1964, S. 52-55.
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