Sechste Szene.

[54] TEUT rafft sich auf und schlägt mit der Faust auf ein großes Bronze-Becken, welches am Todestor steht. Ein wolkiger Morgen bricht an.

Hiram, wach auf! Der Morgen naht!

HIRAMS STIMME aus dem Haine.

Wer ruft?

TEUT.

Dein Gott nicht! Ich hier, Teut.


Er schlägt abermals die Becken.
[54]

HIRAM tritt aus dem Tore.

Was schlägst du laut die Becken, sprich!

TEUT.

Daß du erwachtest!

HIRAM.

Schlief ich denn?

TEUT.

Du schufst dir wohl zu Molochs Füßen

Aus Moos ein Ruhelager?

HIRAM.

Teut!

TEUT.

Und hieltest Zwiesprach' mit dem Gott?

HIRAM.

Du warst um Mitternacht im Hain?

TEUT.

Und – lebe noch!

HIRAM will auffahren, faßt sich aber schnell.

So hat dich Gott

Erwählt, mein heil'ges Amt zu teilen.

TEUT.

Dein heil'ges Amt? Welch' Dunkel spie

Solch' ekle Lüge hier ans Land?

HIRAM.

Wer log? Trog dich dein eigen Herz,

Als du zu Molochs Füßen stürztest?[55]

TEUT.

Mein Herz? Wähnst du's nicht ausgebrannt?


Er tritt flammenden Blicks auf Hiram zu.


Hörst du den Sturm zu Häupten nicht?

Sein schwarzer Fittich rauscht dir Tod!

HIRAM.

Dein Auge glüht – von welchem Licht?

Was gab dir, Jüngling, solche Stärke?

TEUT.

Im Morgenlicht der Wahrheit wandle

Ich auf der Liebe Sonnenbahn –

HIRAM jäh ausbrechend.

Der Liebe Bahn!?

TEUT.

Und Trug und Lügen

Soll Thules Volk in Treue richten.


Er will auf das Tor zu; Hiram tritt ihm entgegen.


HIRAM mit Größe.

In Flammen starb mir eine Welt;

Die Rache hat mein Ziel geboren.

Durch Sturm und Nacht peitscht' ich den Kiel

Den starren Klippen Thules zu –

Das Ziel ist nah, ein starkes Volk

Führt meine Rache wider Rom –

TEUT.

Nach Rom?

HIRAM.

Und eines Knaben Hand

Will mir den Preis, die Macht, entreißen?[56]

TEUT.

Fremdling, ich rief den König heim!

HIRAM.

Zu spät! In meinem Bann das Volk.

TEUT.

Der Heimat Treu' ist aufgewacht!

HIRAM.

Noch bin ich Herr! Und euer Blut

Soll Molochs Herrschaft fest besiegeln.

TEUT schlägt mit der Faust auf die Becken.

Hörst du den Tod?

HIRAM in wilder Verzweiflung.

Mir drohn? So stirb!


Er reißt einen Dolch aus dem Gürtel und dringt auf Teut ein; dieser aber umfaßt seine Hand mit eisernem Griff und richtet die Spitze der Waffe gegen Hirams eigene Brust. So drängt er ihn gegen den Hintergrund, die Klippen empor.


TEUT.

Ins Meer mit dir, zur Klippe dort!

HIRAM versucht vergeblich Teut zu umklammern.

Du stürzest mit mir!

TEUT.

In die See!


Hiram reißt sich von Teut los, welcher den Dolch in seiner Hand behält, und eilt selbst die letzte Klippe frei hinan; er wendet sich mit dem grimmigen Ausdruck eines zu Tode gehetzten Tieres.
[57]

HIRAM.

Verloren denn – alles verloren!

Rache, Gewalt, des Willens Macht,

An eines Knaben Sinn zerbrochen!


Er preßt die Hände auf die Brust, da fühlt er das Hämmern seines Herzens.


Wie? Noch immer schlägt dies Herz?

Stand es nicht längst vor Grausen still?

Nun denn – mit eigner Faust

Zertrümmr' ich meine Welt!


Er schlägt mit aller Gewalt vor sein Herz, taumelt und sinkt rückwärts in die Fluten. Teut eilt die Klippe empor, um ihm nachzusehen, steht hochaufatmend und breitet die Arme aus.


TEUT.

Heimat, Heimat, du bist frei!


Er schreitet die Klippen herunter auf das Tor zu. Plötzlich hemmt er seinen Schritt, wie von unsichtbarer Macht gehalten.


Seufzt nicht die Erde rings? Was hält mich?


Er starrt auf die Schwelle des Tores.


Dort auf der Schwelle rotes Blut?


Er sieht sich langsam um.


Das Morgenrot grüßt meinen Weg –

Vater, dir hol' ich dein Schwert!


Er geht in den Hain.


Quelle:
Max von Schillings: Der Moloch. Dichtung frei nach Fr. Hebbels »Moloch-Fragment« von Emil Gerhäuser, Berlin [1906], S. 54-58.
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