6. An das Herz (Summi regis cor aveto)
O Herz des Königs aller Welt

[66] 1.

O Herz des Königs aller Welt,

Des Herrschers in dem Himmelszelt,

Dich grüßt mein Herz in Freuden.

Mein Herze, wie dir wohl bewußt,

Hat seine größt und höchste Lust

An dir und deinem Leiden.

Ach, wie bezwang und drang dich doch

Dein edle Lieb, ins bittre Joch

Der Schmerzen dich zu geben,

Da du dich neigtest in den Tod,

Zu retten aus der Todesnot

Mich und mein armes Leben.


2.

O Tod, du fremder Erdengast,

Wie warst du so ein herbe Last

Dem allersüß'sten Herzen!

Dich hat ein Weib der Welt gebracht,

Und machst dem, der die Welt gemacht,

So unerhörte Schmerzen!

Du meines Herzens Herz und Sinn,

Du brichst und fällst und stirbst dahin,

Wollst mir ein Wort gewähren:

Ergreif mein Herz und schleuß es ein

In dir und deiner Liebe Schrein.

Mehr will ich nicht begehren.


3.

Mein Herz ist kalt, hart und betört

Von allem, was zur Welt gehört,

Fragt nur nach eitlen Sachen,

Drum, herzes Herze, bitt ich dich,

Du wollest dies mein Herz und mich[67]

Warm, weich und sauber machen.

Laß deine Flamm und starke Glut

Durch all mein Herze, Geist und Mut

Mit allen Kräften dringen;

Laß deine Lieb und Freundlichkeit

Zur Gegenlieb und Dankbarkeit

Mich armen Sünder bringen.


4.

Erweitre dich, mach alles voll!

Sei meine Ros und riech mir wohl,

Bring Herz und Herz zusammen,

Entzünde mich durch dich und laß

Mein Herz ohn End und alle Maß

In deiner Liebe flammen!

Wer dieses hat, wie wohl ist dem;

In dir beruhn ist angenehm,

Ach, niemand kanns gnug sagen.

Wer dich recht liebt, ergibt sich frei,

In deiner Lieb und süßen Treu

Auch wohl den Tod zu tragen.


5.

Ich ruf aus aller Herzensmacht

Dich, Herz, in dem mein Herz erwacht,

Ach laß dich doch errufen!

Komm, beug und neige dich zu mir

An meines Herzens arme Tür

Und zeuch mich auf die Stufen

Der Andacht und der Freudigkeit,

Gib, daß mein Herz in Lieb und Leid

Dein eigen sei und bleibe,

Daß dir es dien an allem Ort

Und dir zu Ehren immerfort

All seine Zeit vertreibe.


6.

O Herzensros', o schönste Blum!

Ach, wie so köstlich ist dein Ruhm,[68]

Du bist nicht auszupreisen.

Eröffne dich, laß deinen Saft

Und des Geruchs erhöhte Kraft

Mein Herz und Seele speisen!

Dein Herz, Herr Jesu, ist verwundt,

Ach tritt zu mir in meinen Bund

Und gib mir deinen Orden!

Verwund auch mich, o süßes Heil,

Und triff mein Herz mit deinem Pfeil,

Wie du verwundet worden.


7.

Nimm mein Herz, o mein höchstes Gut,

Und leg es hin, wo dein Herz ruht,

Da ists wohl aufgehoben.

Da gehts mit dir gleich als zum Tanz,

Da lobt es deines Hauses Glanz

Und kanns doch nicht gnug loben.

Hier setzt sichs, hier gefällts ihm wohl,

Hier freut sichs, daß es bleiben soll.

Erfüll, Herr, meinen Willen!

Und weil mein Herz dein Herze liebt,

So laß auch, wie dein Recht es gibt,

Dein Herz mein Herze stillen.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 66-69.
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